08.06.2022 | Dienststelle Ortsverband Hannover-Wasserturm

Lebensretter im Trümmerfeld

Johanniter-Rettungshundestaffel trainiert in schwierigem Terrain mit höchsten Ansprüchen

Amt Malchin liegt malerisch am Kummerower See im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Doch für Badefreuden haben Lutz Fricke und seine Border-Collie-Hündin Tonks keine Zeit. Sie konzentrieren sich auf einen haushohen Trümmerberg. Zwölf Frauen und Männer sowie 13 Hunde der Rettungshundestaffel (RHS) des Johanniter-Ortsverbands Hannover-Wasserturm üben inmitten einer präparierten Industriebrache ihre Einsatzfähigkeiten.

Fünf Tage Auszeit von Arbeit oder Studium haben sich die Hundeführer*innen genommen. Jeden einzelnen davon sind sie im Trainingsgelände des Bundesverbands Rettungshunde (BRH) in Malchin unterwegs. Der BRH richtet seit 2010 einstige Fabrikhallen zu Übungsarealen her und brachte auch ein Ziegelgebäude kontrolliert zum Einsturz. Das Ergebnis ist eine Landschaft wie aus einem Endzeitfilm. Staffelleiter Fricke und die Tierärztin Anja Rocksin leiten nicht nur die Ausbildung der Hundestaffel vom Ortsverband Hannover-Wasserturm; sie unterstützen als Fachberater*innen auch die Ausbildung von Johanniter-Rettungshunden bundesweit. Allein im Landesverband Niedersachsen/Bremen der Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) gibt es sechs Staffeln.

Fricke und Rocksin haben ihre Hunde Tonks, Bex und Watson dabei. Sie müssen den Ziegelberg ebenso bewältigen wie der erfahrene Rüde Fritze, die zehn Monate alte Hündin Hera, der gestandene Springer Spaniel Toshi und alle anderen Vierbeiner der Staffel. Fritze ist mit Hundeführerin Maria Wüstefeld am Start. Die Polizistin greift zu einer Babypuderflasche, die zur Ausrüstung gehört wie Helm und Sicherheitsschuhe. Sie verstäubt etwas Pulver und prüft so die Windrichtung. Das hilft bei der Entscheidung, wie sie Fritze auf ein Suchfeld ansetzt. Die Hundeführerin wählt ihre Position, nimmt dem Rüden die Leine ab, weist mit der ausgestreckten Hand die Richtung – und Fritze rennt los. Jetzt muss er alles ausblenden, was nichts mit seinem Auftrag zu tun hat; Lärm etwa oder nichtmenschliche Gerüche.

Anders als sogenannte Mantrailer bekommen Flächen- und Trümmersuchhunde, wie sie die Hannoveraner ausbilden, keine Geruchsprobe einer bestimmten Person vorgesetzt. Ihre Spezialität ist das Aufspüren von verschütteten oder in unübersichtlicher Umgebung verloren gegangenen Menschen. Das kann schneller gehen als bei Suchketten; ein ausgebildeter Hund kann in offenem Gelände bis zu 30.000 Quadratmeter in 20 Minuten absuchen. Die Trümmersuche stellt noch einmal höhere Anforderungen an jedes Mensch-Hund-Team. Ausdauernd, lernfreudig und weder ängstlich noch agressiv – die Tiere müssen einige Voraussetzungen mitbringen. Ebenso die Hundeführenden, die mit ihren Vierbeinern zwei bis drei Jahre bis zur entscheidenden Prüfung für ein Zertifikat als Rettungshundeteam brauchen. Für die RHS bedeutet das jährlich hunderte Trainingsstunden in unterschiedlichen Umgebungen, plus besondere Trainingsorte wie Malchin.

In Malchin trainieren Mensch und Tier auch ihre Teamfähigkeit. Je klarer Körpersprache und Befehle der Hundeführenden sind, desto rascher kommt ein Hund zum Ziel. Und kann auch Personen orten, die metertief unter Trümmern stecken. Abwechselnd klettern die Johanniter in raffiniert angelegte Verstecke, winden sich durch Röhren und warten. So auch bei Maria Wüstefeld und Fritze. Der Hund zieht immer engere Kreise auf dem Ziegelberg; von der Polizistin aus sicherem Abstand dirigiert. Im Notfall sollen Helfende ein potenziell gefährliches Terrain erst betreten, wenn ein Hund eine hilfsbedürftige Person geortet hat. Jeder Einsatz erfordert hohe Konzentration. Fritze bleibt plötzlich stehen, reckt die Nase in die Luft und bellt. Seine Hundeführerin hebt die Hand. Es ist das Signal für eine erfolgreiche Suche. Dann folgt: Retten und Versorgen. In der Übung endet das Szenario friedlich. Fritze schnuppert an der Hand von Wüstefelds Kollegin Carmen Dulitz, die aus einem Versteck herausragt. Samt einem Leckerbissen darin. Der ist Belohnung und Bestätigung zugleich; alles richtig gemacht.

Die RHS vom Ortsverband Hannover-Wasserturm verfügt über mehrere zertifizierte Rettungshundeteams. Die rein ehrenamtlich arbeitenden Johanniter sind das ganze Jahr über rund um die Uhr einsatzbereit. Sie spüren vermisste und möglicherweise geschwächte oder verletzte Personen auf. Am dritten Trainingstag in Malchin lauschen die RHS-Mitglieder den Lokalnachrichten aus der nahe gelegenen Uckermark. In Lychen riss am Morgen eine Gasexplosion in einer Bäckerei ein ganzes Haus auseinander. Die Einsatzkräfte holten auch Spürhunde dazu. „Um auszuschließen, ob Menschen unter den Trümmern liegen“, kommentiert Staffelleiter Fricke. Auch für Fricke und die hannoversche RHS kann jederzeit ein ähnlicher Einsatzbefehl kommen. Deshalb trainieren die Ehrenamtlichen so intensiv und konzentrieren sich wieder auf den Ziegelberg von Malchin. Urlaubsparadies hin oder her.

Mehr Informationen über die Rettungshundestaffeln der Johanniter