30.04.2020 | Regionalverband Hamburg

Ehrenamtliche Sterbebegleitung: Nähe in Zeiten der Corona-Pandemie

Elena Jannemann

Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind für die Sterbenden und ihre Angehörigen auch in der Corona-Krise stets ansprechbar. Im Interview berichtet Elena Jannemann, die leitende Koordinatorin der Hospiz-Ambulanz der Johanniter in Hamburg, wie kreativ und professionell das Team mit der derzeitigen Situation umgeht.

Im Ambulanten Hospizdienst begleiten Sie Sterbende und deren Angehörige in den letzten Tagen und Wochen. Bitte beschreiben Sie kurz Ihre Tätigkeit.

Elena Jannemann: „Sterbebegleitung ist Beziehungsarbeit: Die geschulten Ehrenamtlichen kennen die Sterbenden und ihre Angehörigen oft schon mehrere Wochen oder Monate, das schafft Verbundenheit und Vertrauen. Für die letzte Etappe ist diese Nähe sehr wichtig: Irgendjemand hat mal gesagt, ein Sterbebegleiter sei wie ein guter Nachbar, der regelmäßig nach einem schaut. Wir sind nicht der Ersatz für Angehörige oder Freunde, aber wir begleiten verlässlich, professionell und mit dem nötigen Abstand. In der Sterbebegleitung liegt unser Fokus auf Nähe und Zuwendung: Wir besuchen die Menschen, halten ihre Hand, haben ein offenes Ohr für Sorgen und Gedanken oder sind einfach nur da. Viele Menschen haben auch den Wunsch, gemeinsam ein Gebet zu sprechen. Wir erfüllen kleine Wünsche, etwa nach dem Stück Sahnetorte vom Lieblingsbäcker, der Lakritzstange vom Wochenmarkt oder bringen Blumen mit: Farben und Gerüche sind wichtig, sie wecken Erinnerungen. Was man nicht unterschätzen darf: Sterben ist mit großer Unsicherheit verbunden, weil die wenigsten Menschen heutzutage Erfahrung mit Todesfällen in ihrem Umfeld haben. Unsere ehrenamtlichen Sterbebegleiter vermitteln den Sterbenden und ihren Angehörigen Sicherheit, da sie souverän mit dem Thema umgehen und ein großes Wissen über den Prozess haben. Sie sind wie ein Fels in der Brandung, wenn um sie herum der Sturm tobt.“

Wie funktioniert die Begleitung in der derzeitigen Corona-Lage?
„Für alle Beteiligten ist die Situation jetzt neu und anders. Sterbebegleitung ist vom Besuchsverbot in den Einrichtungen ausgenommen, wir dürfen also theoretisch weiter begleiten. Die physische Anwesenheit gibt es jedoch nur noch in Ausnahmesituationen, es ist den Ehrenamtlichen freigestellt, ob sie Besuche machen – viele von ihnen zählen aufgrund ihres Alters selbst zur Risikogruppe. Körperliche Nähe wie Hände halten ist nicht mehr möglich. Wir versuchen, die Besuche durch Anrufe oder Videotelefonie auszugleichen – aber in der letzten Etappe ist selbst Telefonieren für die Sterbenden krafttechnisch nicht mehr möglich. Es geht oft auch gar nicht mehr darum, qualitativ hochwertige Gespräche zu führen, sondern ums Dasein, auch um das gemeinsame Schweigen. Das ist anders am Telefon. Die Ehrenamtlichen konzentrieren sich jetzt sehr stark auf die Wünsche der Sterbenden und packen kleine Pakete mit Aufmerksamkeiten oder schicken Blumen. Manche stellen auch selbst eine Kerze ins Fenster als symbolische Wegweiser für die Menschen, die sie begleiten – eine gedankliche Verbindung. Für unser Team ist es frustrierend, weil wir manche Menschen jetzt nicht mehr so begleiten können, wie es richtig wäre, aber da, wo wir einen gemeinsamen Weg finden, funktioniert es bisher gut und wird weiterhin gut angenommen.“

Wie schafft man es, über das Telefon Nähe aufzubauen?
„Bei Begleitungen, die schon länger laufen, ist das Telefonieren leichter: Wir erkennen die momentane Verfassung eines Menschen dann bereits an der Stimmlage oder an der Art, wie er antwortet. Kommunikation funktioniert nicht nur verbal, sondern immer auch nonverbal und paraverbal. Am Telefon sind wir auf das Verbale beschränkt, das funktioniert nur bei Menschen, die sich besser kennen. Die Corona-Pandemie ist in den Gesprächen ein großes Thema, viele Menschen haben jetzt Sorgen und Ängste um ihre Familien. Dementsprechend groß ist der Redebedarf: Wie kann ich meine Einkäufe oder mein Essen organisieren? Wie lange darf ich meine Familie nicht sehen, obwohl doch gerade das Enkelkind geboren worden ist? Wie komme ich zum Arzt oder bekomme meine Medikamente? Unsere Ehrenamtlichen beraten dann oder stellen den Kontakt zur Apotheke und anderen Dienstleistern her. Wir versuchen einfach, die Zeit der Distanz möglichst sinnvoll zu füllen und zu gestalten, machen Angebote und signalisieren unsere gedankliche Anwesenheit.“

Auch für Ihr Team ist die derzeitige Lage eine Ausnahmesituation. Wie steuern und motivieren Sie Ihre Ehrenamtlichen?
„An Motivation mangelt es nicht! Die Ehrenamtlichen sind sehr kreativ und engagiert, sie kommen selbst auf tolle Gedanken, wie sie die Begleitung weiterführen können, schließlich kennen sie die Begleiteten auch viel besser. Auf die Idee, Päckchen zu versenden oder Mundschutze zu nähen, sind sie sehr früh gekommen. Nun entwickeln sich regelrecht Brieffreundschaften, so wie früher. In den Einrichtungen nehmen sich die Pflegekräfte auch die Zeit und lesen die Briefe vor. Wir haben im Koordinationsteam jetzt eine ganz andere Aufgabe bekommen, für die Ehrenamtlichen da zu sein: Viele von ihnen zählen altersbedingt zur Risikogruppe, bei einigen sind durch Kurzarbeit oder andere Einschränkungen wirtschaftliche oder soziale Sorgen in der Familie entstanden. So werden wir viel stärker zu Gesprächspartnerinnen, hören zu und tauschen uns aus. Kontakt halten und sprechen ist wichtig - aber das meiste strukturiert sich von selbst.“

Wie sind Sie selbst auf das Thema Hospizdienst gestoßen?
„Ich bin gelernte Krankenschwester. Bevor ich die Aufgabe der leitenden Koordinatorin des ambulanten Hospizdienstes übernommen habe, habe ich in der Palliativpflege gearbeitet. Das habe ich bewusst entschieden. Schon während meiner Ausbildung war ich auf eigenen Wunsch im stationären Hospiz eingesetzt. Es ist eine ganz andere Form der Qualität in der Arbeit: ganzheitlich und persönlich. Für die Menschen und ihre Wünsche ist viel Platz und Zeit – sei es für ein gemeinsames Brettspiel oder für den Lieblingskrimi. Sterben müssen wir alle irgendwann, aber wir haben eine Chance, den Weg dorthin zu gestalten, und das ist eine sehr schöne und verantwortungsvolle Aufgabe.“

Und wie wird man ehrenamtlicher Sterbebegleiter?
„Voraussetzung ist die einjährige Fortbildung „Sterbende begleiten lernen“, die auch die Johanniter anbieten. Das vermittelte Hintergrundwissen ist für die Tätigkeit sehr wichtig. Man lernt zum Beispiel Gesprächsführungstechniken, aber auch Details über die Sterbephasen. Vor allem jedoch muss man sich mit sich selbst und seiner eigenen Motivation auseinandersetzen: Warum will ich das tun? Die Ehrenamtlichen haben nach diesem Jahr einen Koffer voller Ideen und Konzepten, aber sie haben sich auch selbst ganz neu kennengelernt. Erst, wenn der Kurs abgeschlossen ist, können die Teilnehmenden entscheiden, ob sie dieses Ehrenamt auch wirklich ausüben wollen.“


Über den Ambulanten Hospizdienst der Hamburger Johanniter
Seit Februar 2020 leitet die 28-jährige Elena Jannemann als Koordinatorin das Team des Ambulanten Hospizdienstes und der Kinder-Trauerbegleitung „Lacrima“. 46 ehrenamtliche Sterbebegleiterinnen und -begleiter sowie sieben Kinder-Trauerbegleiter gehören zum Team der Hamburger Johanniter. Im Jahr 2019 haben insgesamt 53 Begleitungen stattgefunden, einige davon dauern noch an.