26.11.2024 | Lacrima Ulm/Neu-Ulm

Das erste Weihnachten ohne Papa

Wie Familien an den Feiertagen mit dieser Trauer umgehen

Wie Familien an den Feiertagen mit dieser Trauer umgehen

Weihnachten ist das Fest der Familie – doch was, wenn in dieser besonderen Zeit jemand fehlt? Wenn der Platz am Tisch leer bleibt, weil ein geliebter Mensch, sei es Papa, Mama, ein Geschwisterkind, Oma, Opa, Onkel oder Tante, verstorben ist? Das erste Weihnachtsfest ohne diesen geliebten Angehörigen kann eine besonders herausfordernde Erfahrung sein, die bei den Hinterbliebenen eine Vielzahl von Fragen und Gefühlen auslöst.

"Wie feiern wir das erste Weihnachten ohne ihn oder sie?"

Diese Frage stellen sich viele Familien, die einen schweren Verlust erlitten haben. Es gibt kein richtig oder falsch, aber es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen, gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie Weihnachten auch in dieser schwierigen Zeit gefeiert werden kann. In dieser Situation ist es hilfreich, die eigenen Wünsche und Gefühle zu benennen. „Es gibt keine allgemein gültige Antwort auf diese Frage. Jede Familie muss für sich selbst entscheiden, wie sie mit dem ersten Weihnachtsfest ohne den Verstorbenen umgehen möchte,“ erklärt Christine Joos, Leiterin von Lacrima in Ulm/Neu-Ulm, das speziell für Kinder und Jugendliche da ist, die einen nahestehenden Angehörigen durch den Tod verloren haben.

Wie gehe ich mit den Erwartungen der Kinder um?

Besonders bei Kindern taucht eine oft gestellte Frage auf: „Kann das Christkind mir meinen Papa oder meine Mama zurückbringen?“ Kinder haben oft eine sehr klare Vorstellung von den Dingen, die sie sich wünschen, und der Tod eines geliebten Menschen kann in ihrer Vorstellung nicht mit den Weihnachtswundern zusammenpassen, die sie aus Geschichten kennen. Die Antwort auf diese Frage sollte liebevoll und ehrlich sein, ohne die Hoffnung des Kindes zu zerstören. „Es ist wichtig, Kindern zu erklären, dass der Verstorbene nicht zurückkommt, aber dass sie ihn in ihrem Herzen tragen können, und dass es immer Momente der Erinnerung geben wird,“ erklärt Joos. Das Gespräch über den Verlust in einem behutsamen Rahmen hilft den Kindern, ihren Schmerz zu verarbeiten und gleichzeitig die Bedeutung von Liebe und Erinnerung zu verstehen.

Die Bedeutung von Kommunikation und gemeinsamen Erinnerungen

Wie also können Familien miteinander sprechen, wenn der Verlust noch frisch ist? Was sollen sie tun – und was besser nicht? Joos rät dazu, offen miteinander über die Gefühle zu sprechen. „Es ist wichtig, dass jedes Familienmitglied die Gelegenheit hat, seine Trauer auszudrücken, ohne sich für seine Gefühle schämen zu müssen. Es sollte Raum geben für stille Momente, aber auch für gemeinsames Lachen und Erinnern,“ erklärt sie. Dabei kann es auch helfen, gemeinsam Erinnerungsstücke zu schaffen, sei es ein Bild, eine Kerze oder eine Geschichte, die den Verstorbenen würdigt. Diese gemeinsamen Rituale helfen, das erste Weihnachten ohne den geliebten Menschen zu gestalten und ihm gleichzeitig eine besondere Bedeutung zu verleihen.
Trotz der Bedeutung des Gesprächs gibt es auch Dinge, die vermieden werden sollten. Joos betont, dass es wichtig ist, Kindern keinen Druck zu machen, ihre Trauer schnell zu überwinden. „Jeder trauert in seinem eigenen Tempo. Es ist nicht hilfreich, von Kindern oder Erwachsenen zu erwarten, dass sie in der Weihnachtszeit einfach 'glücklich sein' müssen. Es darf auch Platz für Trauer und Nachdenklichkeit bleiben,“ so Joos.

Tipps für die Feiertage

1.    Ehrlichkeit und Empathie: Sprechen Sie offen über den Verlust, besonders mit Kindern. Lassen Sie Raum für Fragen, auch wenn diese schmerzhaft sein können.
2.    Veränderungen zulassen: Es ist in Ordnung, die Traditionen zu verändern. Vielleicht fällt es zu Beginn schwer, das Fest wie gewohnt zu feiern – das ist okay. Suchen Sie nach neuen Wegen, um den Verlust zu würdigen, ohne den Schmerz zu leugnen.
3.    Erinnerungen bewahren: Gemeinsame Rituale, wie das Anzünden einer Kerze oder das Teilen von Erinnerungen an den Verstorbenen, können eine wertvolle Hilfe sein, um den Verstorbenen in den Feiertagen zu ehren und die Trauer zu verarbeiten.
4.    Gemeinsame Zeit nutzen: Stellen Sie sicher, dass auch Momente der Freude und des Zusammenhalts nicht zu kurz kommen. Auch in Zeiten der Trauer kann es heilend sein, gemeinsam zu lachen oder schöne Erinnerungen zu teilen.
5.    Unterstützung suchen: Wenn die Trauer überwältigend wird, kann es hilfreich sein, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Lacrima bietet Gruppen für Kinder, Jugendliche und Familien, die den Verlust eines nahen Angehörigen verarbeiten müssen. In einer vertrauensvollen Umgebung werden die Trauernden dabei unterstützt, ihre Gefühle zu verstehen und neue Wege im Umgang mit der Trauer zu finden.

Fragen von Kindern, Jugendlichen und Familien

Neben den allgemeinen Herausforderungen, die der Verlust eines geliebten Menschen mit sich bringt, stellen viele Kinder und Jugendliche auch ganz spezifische Fragen, die für die ganze Familie schwierig sein können. Christine Joos gibt einfühlsame Antworten auf häufig gestellte Fragen:

Kinderfrage:
„Warum musste mein Papa sterben? Warum können wir ihn nicht einfach wieder lebendig machen?“

Christine Joos:

„Das ist eine der schwersten Fragen, die ein Kind stellen kann, und sie zeigt, wie sehr Kinder versuchen, das Geschehene zu verstehen. Oft suchen Kinder nach einer einfachen Antwort, und die Wahrheit ist, dass der Tod manchmal ganz unerklärlich erscheint. Ich empfehle, dass Eltern diese Frage nicht mit einfachen oder vereinfachten Antworten beantworten. Statt zu sagen ‚Es war einfach so‘, kann es hilfreich sein, gemeinsam mit dem Kind über den Tod zu sprechen und zu erklären, dass er Teil des Lebens ist, auch wenn er sehr traurig und schwer zu begreifen ist. Es ist wichtig, dass Kinder wissen, dass sie nicht schuld am Tod sind und dass es nicht ihre Verantwortung ist, den Verlust rückgängig zu machen oder versuchen diesen zu verhindern. Geben Sie Ihrem Kind Raum, Fragen zu stellen, und seien Sie ehrlich, ohne es mit zu vielen Informationen zu überfordern.“

Jugendlichenfrage:
„Wie soll ich Weihnachten feiern, wenn ich nicht weiß, wie ich meine Trauer in der Familie zeigen soll? Alle erwarten, dass ich ‚normal‘ bin, aber ich fühle mich nicht normal.“

Christine Joos:
„Es ist völlig normal, dass du dich in dieser Zeit anders fühlst. Weihnachten ist für viele eine Zeit des Zusammenseins und der Freude – aber nach einem Verlust ist es oft eine Zeit, die mit vielen gemischten Gefühlen verbunden ist. Du musst nicht so tun, als ob alles in Ordnung wäre, wenn du das nicht fühlst. Es ist wichtig, dass du deinen eigenen Weg findest, mit der Trauer umzugehen. Du könntest mit deiner Familie sprechen und ihr mitteilen, wie du dich fühlst – vielleicht verstehen sie, dass du an Weihnachten mehr Ruhe brauchst oder dass du einen anderen Weg finden möchtest, um dich zu erinnern und zu gedenken. Aber es ist auch wichtig, die Erwartungen anderer nicht zu übernehmen. Du darfst deine Trauer zeigen, ohne dich dafür zu schämen. Sprich mit jemandem, dem du vertraust, ob es ein Elternteil oder ein Freund ist. Das Lacrima ist auch ein Ort, an dem du als Jugendlicher Unterstützung finden kannst, um diese schwierigen Gefühle mit Gleichaltrigen in derselben Situation zu verarbeiten.“

Elternfrage:
„Wie können wir unseren Kindern helfen, in dieser Zeit der Trauer ihre Gefühle auszudrücken, ohne sie zu überfordern?“

Christine Joos:
„Eltern sind oft die ersten, die merken, wenn ihre Kinder mit der Trauer kämpfen. Es ist wichtig, den Kindern zu erlauben, ihre Gefühle in ihrem eigenen Tempo auszudrücken, ohne sie zu drängen. Manche Kinder möchten vielleicht nicht sprechen, sondern suchen Trost in anderen Aktivitäten wie Malen, Toben oder Spielen. Es ist hilfreich, diesen Ausdruck von Trauer zu unterstützen und dabei Geduld zu haben. Vermeiden Sie es, zu versuchen, die Trauer zu ‚reparieren‘ oder die Kinder zu schnell zum ‚weiter machen‘ zu drängen. Seien Sie ein offenes Ohr und bieten Sie Raum, auch für stille Momente. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind Schwierigkeiten hat, seine Trauer zu bewältigen, kann es auch sinnvoll sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.“

Frage von Angehörigen der trauernden Familie:
„Wie können wir der Familie in dieser schwierigen Zeit beistehen, ohne unangemessen zu wirken?“

Christine Joos:
„Es ist sehr einfühlsam von Angehörigen, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie unterstützen können. Der Verlust eines geliebten Menschen stellt alle vor Herausforderungen, auch die engsten Angehörigen. Wichtig ist, dass Sie ehrlich und mitfühlend sind, ohne die Familie zu überfordern. Manchmal ist es am hilfreichsten, einfach für die Familie da zu sein, zuzuhören und Verständnis zu zeigen. Bieten Sie konkrete Hilfe an, wie etwa beim Einkaufen oder bei der Kinderbetreuung, da viele Trauernde zu solchen Zeiten oft überfordert sind. Vermeiden Sie es jedoch, zu sehr auf die Trauer einzugehen, wenn die Familie nicht darüber sprechen möchte. Zeigen Sie, dass Sie für sie da sind, ohne sie zu drängen, über den Verlust zu reden.“

Frage von Freunden der Kinder:
„Wie können wir unserem Freund oder unserer Freundin helfen, die so traurig ist?“

Christine Joos:
„Ihr seid als Freunde unglaublich wichtig, gerade wenn euer Freund oder eure Freundin einen geliebten Menschen verloren hat. Manchmal ist das Beste, was ihr tun könnt, einfach da zu sein. Ihr müsst nicht immer etwas sagen – oft hilft es schon, zusammen zu sitzen, etwas zu unternehmen oder einfach zu zeigen, dass ihr da seid. Wenn euer Freund oder eure Freundin weinen möchte oder traurig ist, dann ist das okay. Zeigt, dass ihr das versteht und dass er oder sie sich bei euch sicher fühlen kann.

Ihr könnt auch fragen: ‚Möchtest du darüber reden, oder wollen wir einfach was Anderes machen?‘ So gebt ihr eurem Freund oder eurer Freundin die Wahl, ohne Druck. Wichtig ist, dass ihr nicht versucht, die Trauer schnell ‚wegzumachen‘ – es ist normal, traurig zu sein, und das darf auch so sein.

Wenn ihr unsicher seid, könnt ihr das auch ehrlich sagen: ‚Ich weiß nicht genau, wie ich dir helfen kann, aber ich bin für dich da.‘ Das zeigt, dass ihr es ernst meint und euren Freund oder eure Freundin wirklich unterstützen wollt. Ihr seid nicht allein – es ist völlig okay, auch selbst jemanden zu fragen, wenn ihr euch überfordert fühlt.“

Ein schwieriges Weihnachten – Aber nicht nur das erste Jahr
Es ist wichtig zu wissen, dass Weihnachten und andere besondere Tage wie Geburtstagsfeiern oder Jahrestage nicht nur im ersten Jahr nach dem Verlust schwierig sind. Auch in den Jahren danach bleiben solche Tage eine Herausforderung, da der Verlust nie vollständig „weg“ ist. Die Trauer kann sich anders zeigen, aber der Schmerz bleibt oft bestehen. Es ist wichtig, auch weiterhin Unterstützung zu suchen und an Erinnerungen festzuhalten, die trösten.
Der Weg durch die Trauer ist ein Prozess, der Zeit braucht. Doch mit den richtigen Ritualen und der Unterstützung von Familie, Freunden und geschulten Helfern oder Therapeuten können auch diese schwierigen Zeiten mit Hoffnung und Liebe durchlebt werden.

Weitere Informationen und Unterstützung finden Sie unter www.johanniter.de/ul-nu/lacrima.