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12.11.2024 | Regionalgeschäftsstelle Münsterland/Soest

Ein Gespräch über den Tod, aber vor allem über das Leben

Angelika Köster, Einrichtungsleitung des Christlichen Hospiz Soest und die Geschäftsführenden Felix Staffehl und Sebastian Thiemann sprechen über das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und das Leben bis zuletzt.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat 2020 das Recht auf einen selbstbestimmten Tod neu geregelt. Jeder Mensch hat in jeder Lebensphase ein Anrecht auf eine begleitete Selbsttötung. Dieses Recht schließt also die Freiheit ein, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen. Was das für eine Einrichtung wie ein Hospiz heißt, ist rechtlich nicht klar geregelt. Angelika Köster, Einrichtungsleitung, und die Geschäftsführenden Felix Staffehl und Sebastian Thiemann, sind sich einig: Ein Hospiz ist ein Ort, an dem Menschen Abschied von geliebten Menschen nehmen können, Halt und Unterstützung erfahren und Menschen aus tiefem Respekt vor dem Leben hierbei begleiten. In ihrem Positionspapier widmen sie sich mit viel Einfühlsamkeit und Fachwissen diesem ethischen Spannungsfeld.

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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat das Recht auf einen selbstbestimmten Tod neu geregelt. Hat diese Entscheidung Ihre Arbeit im Hospiz beeinflusst?
 
Köster: Absolut. Das Urteil hat eine weitreichende Debatte angestoßen, die bei uns im Hospiz deutlich spürbar war. Innerhalb kurzer Zeit hatten wir mehrere konkret formulierte Sterbewünsche im Haus. In den meisten Fällen suchen die Menschen nicht primär den Tod, sondern Halt in dieser schweren Zeit. 

Was tun Sie, wenn ein Gast diesen Wunsch äußert? 

Köster: Ein Sterbewunsch ist nicht gleiche ein Sterbewunsch. Oft ist es ein Hilferuf und ein Ausdruck von Angst – vor Schmerz, Einsamkeit, Kontrollverlust. Unser Ziel ist, gemeinsam mit dem Gast herauszufinden, was wirklich hinter diesem Wunsch steckt und wie wir ihm durch Nähe, Gespräche und palliativmedizinische Unterstützung helfen können. Wir versuchen Menschen in diesem Spannungsfeld aufzufangen und dass sie ihre Würde und Selbstbestimmung spüren, ohne dass es in einem vorschnellen Suizidgedanken mündet. Das ist nicht leicht, aber Teil unserer Aufgabe.
 
Staffehl: Für uns hat sich aus diesem gesteigerten Interesse gezeigt, dass wir uns dazu positionieren müssen. Der Austausch ist für uns enorm wertvoll. Wir sprechen mit Kolleg*innen aus anderen Hospizen und auch mit Fachgesellschaften, wie der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, an deren Haltung wir uns mit unserem Positionspapier orientiert haben. 

Wäre ein Hospiz nicht genau der richtige Ort, über den assistierten Suizid nachzudenken?  

Thiemann: Das könnte man meinen – von außen werden Hospize, insbesondere die Mitarbeitenden, zwar oft als Experten auf ihrem Fachgebiet angesehen. Unsere Haltung dazu ist aber klar, denn wir sehen die Gefahr, dass Hospize als Orte wahrgenommen werden könnten, wo schnelles Sterben ermöglicht wird. Das ist nicht unser Auftrag: Ein Hospiz ist ein Ort des Lebens bis zuletzt, und das bedeutet für uns, eine palliative, medizinische, pflegerisch und auch seelsorgerische Versorgung und den natürlichen Sterbeprozess zu begleiten, ohne ihn bewusst abzukürzen. 

Können Sie nachvollziehen, wenn andere Hospize sich für den assistierten Suizid in ihrem Haus entscheiden?

Staffehl: Ich kann die Beweggründe verstehen, aber halte es für grundsätzlich schwierig. Wir haben es mit Menschen zu tun, die einen besonderen Schutz brauchen. Ich sehe schon die Gefahr, dass ein solcher Ansatz diese Form des Sterbens zur Normalität werden lassen könnte. Mag sein, dass sich diese Befürchtung zurückblickend nicht bewahrheitet, aber für unser Haus ist klar: Unsere Aufgabe ist die Suizidprävention, die Linderung des Leidens und das Aufrechterhalten von Würde bis zum Ende. 

Wie nehmen Sie die Würde und Selbstbestimmung ernst, wenn sie einen assistierten Suizid in einem Hospiz ausschließen?

Staffehl: Man muss sich im Klaren darüber sein, dass die Entscheidung und der Vollzug eines assistierten Suizids in einer Einrichtung immer auch Auswirkungen auf andere Gäste haben wird. Auch in unseren stationären Langzeiteinrichtungen werden sich Bewohner*innen möglicherweise fragen: soll oder muss ich mich jetzt auch für diesen Weg entscheiden? Es darf keine Drucksituation entstehen, die die Selbstbestimmung beeinflusst. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil die Selbstbestimmung eines jeden einzelnen Menschen gestärkt. Wir dürfen und wollen dies überhaupt nicht infrage stellen. Für uns ist die zentrale Frage: Wo kann das passieren? Ist das Hospiz der angemessene Ort? Und da sagen wir: Nein! 

Köster: Uns erreichen auch anonyme Anrufe, von Personen, die sich zum assistierten Suizid beraten lassen möchte. Wir werden von außen eben als Experteneinrichtung für das Thema Sterben wahrgenommen. Dazu beraten wir aber bewusst nicht. Ich kann nicht auf der einen Seite versuchen, Lebensqualität am Lebensende herzustellen, und auf der anderen Seite dazu beraten, dass diese Lebensphase möglichst schnell vorbeigeht. Das ist eine Frage der Haltung und schließt sich in meinem Verständnis von Hospizarbeit, aus einer christlichen Grundhaltung aus. 

Um das deutlich zu machen, haben Sie zusammen ein Positionspapier zum assistierten Suizid verfasst. Warum war Ihnen das wichtig?

Köster: Wir haben gemerkt, dass es wichtig ist, unsere Haltung im Team, im Haus, gegenüber unseren Gästen und Angehörigen deutlich zu machen. Wir wollen signalisieren: Es gibt die Möglichkeit des assistierten Suizids, aber nicht in unserem Haus. Auch wir haben Möglichkeiten, aber unsere Möglichkeiten sind andere. Unser Leitsatz – „Mit Gottes Segen... ankommen, ausruhen, loslassen dürfen“ – beschreibt, wie wir Sterben verstehen: nicht als Drängen zum Tod, sondern als liebevolle Begleitung bis ans natürliche Ende.

Thiemann: Mit dem Positionspapier wollen wir auch unseren Mitarbeitenden mehr Sicherheit geben. Die Mitarbeitenden sind diejenigen, die es im Alltag tragen und mitvertreten müssen. Die Entscheidung, dass wir hier im Hospiz keinen assistierten Suizid durchführen und auch nicht dazu beraten, wurde von 100 Prozent der Mitarbeiterschaft mitgetragen. Das zeigt, wie grundsätzlich dieses Thema für die Arbeit im Hospiz ist.

 Sie sprechen in dem Positionspapier von einem „living document“. Was meinen Sie damit?

Staffehl: Dieses Positionspapier ist für uns ein Dokument, dass mit der Realität der Hospizarbeit wächst. Es soll Raum lassen für neue Erkenntnisse, gesellschaftliche Entwicklungen und die praktischen Erfahrungen unseres Teams. Wir können noch nicht abschätzen, wie sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen in den nächsten Jahren entwickeln werden. Es soll die notwendige Flexibilität zum Ausdruck bringen, die die unklare Gesetzeslage berücksichtigt. Uns ist wichtig, unsere Haltung gegenüber unserem Team, unseren Gästen und Angehörigen und auch in der Öffentlichkeit klarzumachen.

Die wenigsten Menschen kommen in die Situation, dass sie mit Sterbewünschen konfrontiert werden. Wie gehen Sie damit um, wenn Gäste mit konkreten Sterbewünschen zu Ihnen kommen?

Köster: Sterbewünsche begegnen uns häufig, weil Menschen verzweifelt sind, weil die Schmerzen so groß sind, weil Angehörige nicht mehr da sind, weil Konflikte in Familien sich nicht lösen lassen. Für mich ist in so einer Situation besonders wichtig herauszufinden, warum der Leidensdruck gerade so groß ist. Warum soll das Leben jetzt sofort beendet werden? Es geht ums Hören und nicht Über- oder Weghören. Das ist zentral in unserer Arbeit, und dafür werden wir im Team besonders geschult. Der zweite Punkt ist: nicht werten. Ich möchte jeden Gast in seiner Eigenartigkeit und Eigentümlichkeit im Hospiz sein lassen. Es findet keine Wertung statt. Auch ein Sterbewunsch bedarf keiner Wertung. Das Thema wird nicht gemieden, sondern wird genauso angenommen in seinem so sein, wie die anderen auch. In dieser Atmosphäre versuchen wir zu helfen. Ganz genau so, wie der Gast es sich wünscht. Er bestimmt den Prozess. 

Ist das nicht selbstverständlich?

Köster: Viele unserer Gäste haben oft andere Erfahrungen gemacht – keine Zeit, kein Raum für Angehörige oder Wünsche. Bei uns ist das anders. Unsere Gäste wissen, es ist immer jemand da – ob das Seelsorger sind, Pflegekräfte oder der Sozialdienst und wir können sofort auf eine steigende Symptomlast reagieren. Gäste entscheiden selbst, wie sie ihre Zeit gestalten, wann sie essen oder was sie essen. Angehörige stehen hier an erster Stelle. Sie können hier kostenlos übernachten, sind gern gesehen und genauso Teil hier im Hospiz. Wenn wir schaffen Vertrauen aufzubauen und einen Teil dieser Ängste nehmen können, ist schon sehr viel gewonnen. Das trägt dazu bei, dass ein Ort der Ruhe und Gelassenheit entstehen kann.

Was gibt Ihnen die Arbeit im Hospiz persönlich?

Köster: Es sind die Momente der Nähe, die Vertrauen schaffen, in denen Menschen sich öffnen, ihre Ängste teilen und am Ende Frieden finden. Diese Arbeit empfinde ich als zutiefst sinnstiftend. 

Staffehl: Der Tod ist ein Teil des Lebens. Diesen Satz nehmen wir uns zu Herzen und verstehen die Zeit des Abschieds als Lebenszeit. Mit aller Trauer, aber auch mit der Möglichkeit, dass diese Momente erfüllt sind. „Leben bis zuletzt“ bedeutet, die verbleibende Zeit wertzuschätzen und Würde zu schenken. 

Thiemann: Die administrative Seite der Hospizarbeit bleibt für viele oft unsichtbar. Mein Beitrag im Hospiz ist es, dieses Fundament zu sichern und weiterzuentwickeln, damit unser Haus ein Ort sein kann, an dem sich jeder auf das Wesentliche konzentrieren kann: die Zeit, die bleibt, lebenswert zu machen. In dieser unterstützenden Rolle gehe ich auf und sie ist meine Art, den Menschen hier Sicherheit und einen geschützten Raum zu bieten.