Auswirkungen der Pandemie auf den Kita-Bereich
„Emotionen wurden hinter Masken versteckt“
Unter den Hygiene- und Abstandsregeln während der Pandemiezeit haben die Kinder und Jugendlichen stark gelitten: Ihnen fehlte der für die Entwicklung so wichtige Kontakt zu Gleichaltrigen. Im Interview erläutert Helena Hasenkamp, Bereichsleitung Kinder, Jugend und Freiwilligendienste bei den Johannitern im Norden, welche Auswirkungen das hat und wie die Johanniter Kindern und Jugendlichen Halt geben.
Mit unserem Jahresthema „Kinder und Jugend: Wir geben Halt“ wollen wir für die Situation von Kindern und Jugendlichen sensibilisieren. Warum ist das gerade jetzt so wichtig?
„Während der Pandemie waren alle Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit und ihren Aktivitäten eingeschränkt. Das galt aber ganz besonders für Kinder und Jugendliche: Ihnen fehlten die Treffen mit der wichtigen Peergroup, die Nachmittage beim Sport oder in der Tanzschule, die Partys, die Freizeitaktivitäten, nichts davon gab es – und das in einer Zeit, in der die Charakterbildung ausgeprägt wird. Selbst die Schule fand per Distanzlernen auf dem Bildschirm statt, Eltern oder Geschwister waren die einzigen Rollenvorbilder. Als ‚Freizeitersatz‘ und ‚Highlight‘ gab es den Wechselunterricht, da konnten sie wenigstens alle paar Tage ihre Freunde in der Schule treffen. Das macht etwas mit den Kindern.“
Die Johanniter betreiben im Norden über 60 Kindertagesstätten. Was hat die Pandemie für die Einrichtungen und die Mitarbeitenden bedeutet?
„Lange mussten auch unsere Kitas teilweise und zeitweise komplett schließen. Und trotz aller Kreativität: Erziehung funktioniert nicht auf Distanz. Gerade im Krippen- und Elementarbereich sind die Kinder auf Nähe angewiesen: Wenn ein Kind beim Spielen stürzt und weint, dann braucht es Trost, das geht nicht auf Abstand. Auch fehlt den Kindern die Mimik, wenn Erwachsene Masken tragen. Die Emotionen wurden hinter den Masken versteckt, für Kinder sind sie nur schwer lesbar. Rein praktisch mussten die Mitarbeitenden in den Kitas Laufwege abkleben und die Eltern bitten, ihre Kinder vor der Tür abzugeben und abzuholen. Eine Einbindung der Eltern in die Arbeit der Kita war so kaum möglich.“
Und welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf die Jugendverbandsarbeit der Johanniter-Jugend?
„Die Jugendverbandsarbeit und die dafür elementare Netzwerkarbeit sind beinahe vollständig weggefallen. Ich habe dazu keine konkreten Zahlen, aber wir haben derzeit nur noch eine vollständig besetzte Regionaljugendleitung im Landesverband. Alle anderen sind nur in Teilbesetzung. Auch die Schulsanitätsdienste konnten durch die Schulschließungen nur eingeschränkt arbeiten. Da fangen wir jetzt wieder an, Schulen anzusprechen und auch die Jugendverbandsarbeit startet sehr hoffnungsvoll, weil wir viele sehr motivierte Jugendliche in unseren Reihen haben. Dennoch ist es mühsam, alles ist auf Anfang gesetzt.“
Und im Bereich Jugendhilfe?
„Berichte über die Zunahme häuslicher Gewalt gab es in den vergangenen Jahren ja viel zu lesen. Aus meiner Beobachtung und aus den Berichten in unseren Diensten der Ambulanten und Stationären Kinder- und Jugendhilfe kann ich bestätigen, dass sich der Schutz der Kinder deutlich erschwert hat: Sie wurden ja schlichtweg nicht mehr gesehen. Oft sind Lehrkräfte oder Kita-Mitarbeitende diejenigen, die eine Veränderung am Kind feststellen. Durch die Schließung dieser Einrichtungen fehlte dieser wachsame Blick über Monate.“
Hat sich der Freiwilligendienst seit der Pandemie verändert?
„Oh ja. Wir erleben gerade junge Erwachsene, die keine Idee haben, wie sie ihre Freizeit gestalten sollen. Das ist erschreckend. Sie sind sehr auf digitale Angebote fixiert und müssen deutlich stärker angeleitet werden, als das noch vor der Pandemie der Fall war. Wir stellen den Freiwilligendienstleistenden pädagogische Fachkräfte zur Seite, die ihnen als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen. Aber in den Präsenzseminaren entstehen deutlich weniger Diskussionen, es ist ein bisschen wie bei den Kacheln in einer Videokonferenz, so wie sie es im Online-Schulunterricht gelernt haben. Ich hoffe, dass wir den jungen Menschen durch unsere Angebote die Möglichkeit geben können, sich wieder aktiv zu beteiligen.“
Wie wird die Situation bei den Kindern und Jugendlichen in fünf Jahren aussehen?
„Die Prognose ist schwierig. Generell bin ich sehr zuversichtlich: Kinder sind beweglich, sie passen sich neuen Situationen schnell an und werden sich auch wieder umstellen, vermutlich schneller als die Erwachsenen. Aber es gibt viel aufzuarbeiten. In vielen Bereichen können wir das auch mit niedrigschwelligen Angeboten unterstützen, zum Beispiel in unseren Kitas, in denen die Arbeit ja zum Glück jetzt wieder normal läuft. Allerdings gilt das natürlich nur für die Kinder, die noch im Kindergartenalter sind: Kinder, die zu Pandemiezeiten im Elementarbereich waren, wechseln bald zur Grundschule. In den Schulen kommt also viel Arbeit auf die Lehrkräfte zu. Mit Ganztagsangeboten, die die Kinder mitnehmen und animieren, können wir den Kindern dabei helfen, selbst wieder aktiv zu werden. Zum Glück unterstützt die Politik dies mit der neuen Ganztagsregelung.
Was können die Johanniter tun, um die Situation von Kindern und Jugendlichen zu verbessern?
„Ich denke, wir sind da gut aufgestellt: Unsere Erzieherinnen und Erzieher in den Johanniter-Kindertagesstätten gehen auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder ein und begleiten sie Schritt für Schritt in ihre Zukunft. Dabei gehen sie auch auf eventuelle Ängste ein und geben Halt. Wir bieten mit unseren Jugendgruppen niedrigschwellige Anlaufstationen für Jugendliche, die sich mit Gleichgesinnten treffen wollen. Mit unseren Angeboten der Jugendhilfe sprechen wir gezielt Familien an, die in schweren Situationen Unterstützung benötigen. Der Bedarf ist hier derzeit sehr hoch. Und in unseren Freiwilligendiensten haben wir die Chance, junge Menschen auf ihrem Weg in den Beruf zu begleiten, sie anzuleiten und ihnen Perspektiven aufzuzeigen. Mein Fazit ist: Ja, wir müssen als Gesellschaft etwas tun, und wir Johanniter tragen unseren Teil dazu bei.“