"Jeder kleine Schritt macht unsere Gesellschaft sicherer und widerstandsfähiger."

Wie bereitet man sich auf Katastrophen und außergewöhnliche Szenarien wie länger anhaltende Stromausfälle vor? Im Interview gibt Nicolas Tobaben, Experte für Katastrophenschutz, Tipps für die persönliche Vorsorge. Seine Empfehlung: Wer sich in Ruhe vorbereitet, hat im Notfall mehr Routine.
Im Zusammenhang mit dem Bevölkerungsschutz fällt meist das Wort „Resilienz“. Was heißt das konkret?
Nicolas Tobaben (NT): „Grundsätzlich beschreibt Resilienz die Fähigkeit, sich aus eigener Kraft an schwierige Situationen anzupassen und mit Krisen umzugehen – sowohl als Einzelperson als auch als Gesellschaft. Im persönlichen Bereich bedeutet Resilienz, dass man in der Lage ist, mit Herausforderungen umzugehen, sich vorzubereiten und selbstständig Lösungen zu finden. Bezogen auf den Katastrophenschutz bedeutet es, dass Einsatzkräfte gut ausgestattet und geschult sind, um in allen Lagen schnell und effektiv zu helfen. Auf Organisationsebene heißt Resilienz, dass eine Organisation genügend Einsatzkräfte vorhält, dass im Ernstfall andere einspringen können, wenn jemand selbst betroffen ist.
Im Bevölkerungsschutz geht es darum, dass möglichst viele Menschen wissen, wie sie sich auf verschiedene Notlagen vorbereiten und im Ernstfall richtig handeln können. Je mehr Menschen in der Lage sind, sich selbst zu helfen, desto weniger werden die Rettungsdienste überlastet und können sich gezielt um diejenigen kümmern, die wirklich auf Hilfe angewiesen sind. Resilient zu sein heißt also nicht nur, sich selbst zu schützen, sondern auch Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen.
Was sind drei einfache Maßnahmen, die wir alle heute ergreifen können, um besser auf Notfälle vorbereitet zu sein?
NT: "Es gibt drei ganz einfache Schritte, die jeder sofort umsetzen kann:
- Nachdenken und sich mögliche Risiken bewusst machen: Wo lebe ich, welche Gefahren gibt es in meiner Region? Wohne ich in der Nähe eines Flusses und könnte Hochwasser ein Problem sein? Gibt es große Industrieanlagen mit möglicher Brandgefahr? Wie würde ich reagieren, wenn ich meine Wohnung in kurzer Zeit verlassen müsste? Allein diese Überlegungen helfen schon, im Ernstfall schneller zu handeln.
- Sich informieren und vorbereiten: Viele offizielle Stellen wie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) bieten kostenlose Infomaterialien und Checklisten zu Themen wie Hochwasser, Stromausfall oder Hitzewellen an. Wer diese Informationen nutzt und einfache Maßnahmen umsetzt, ist im Ernstfall viel besser gewappnet.
- Das soziale Umfeld einbeziehen: Wer in einer Krise helfen könnte und wer möglicherweise Hilfe benötigt, sollte man sich vorher überlegen. Gibt es ältere oder hilfsbedürftige Nachbarn, die Unterstützung brauchen könnten? Wen könnte ich im Notfall anrufen? Wissen alle Familienmitglieder, was zu tun ist? Ein gutes Netzwerk hilft nicht nur einem selbst, sondern macht auch die Gemeinschaft widerstandsfähiger – genau wie es in Flugzeugen heißt: „Erst sich selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen, dann anderen helfen.“
Das Beste daran: Diese Maßnahmen kosten nichts, brauchen kaum Zeit und machen einen enormen Unterschied, wenn es darauf ankommt."
Gibt es spezielle Notfalltipps, die du den Menschen empfehlen würdest, um vorbereitet zu sein?
NT: "Ja, es gibt einige einfache, aber sehr hilfreiche Tools, die jeder auf dem Handy haben sollte: Die kostenlosen Warn-Apps NINA (Notfall-Informations- und Nachrichten-App des Bundes) und KatWarn (Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.) informieren in Echtzeit über Gefahrenlagen, Unwetterwarnungen oder andere Krisensituationen in der Region. Man muss dafür nur seine Postleitzahl angeben. Die Checklisten des BBK habe ich bereits erwähnt. Sie helfen, Notvorräte und wichtige Maßnahmen systematisch vorzubereiten. Und ich empfehle jeder Person, lokale Informationsquellen zu nutzen. Jede Stadt oder Gemeinde hat eigene Pläne für Notfälle und Evakuierungen – es lohnt sich, diese frühzeitig einzusehen, um zu wissen, wo Notunterkünfte sind oder wie im Katastrophenfall vorgegangen wird."
Ganz konkret: Was sollte ich auf jeden Fall im Hause vorrätig haben, um mich zu versorgen?
NT: "Ein Grundvorrat an Lebensmitteln und Wasser ist essenziell. Mindestens drei Tage, besser noch sieben bis zehn Tage sollte man damit über die Runden kommen, falls Supermärkte nicht verfügbar sein sollten. Ein guter Vorrat erspart im Notfall auch Panikkäufe. Besonders wichtig sind:
- Wasser: Pro Person etwa zwei Liter pro Tag. Am besten in Glasflaschen lagern, weil sie länger haltbar sind. Für unterwegs oder im Notfall eignen sich aber auch Kunststoffflaschen, die sind leichter zu transportieren und gehen im Rucksack nicht kaputt.
- Haltbare Lebensmittel: Nudeln, Reis, Konserven mit Obst oder Gemüse oder Trockenprodukte wie Haferflocken sind ideal. Sie sollten an die Anzahl der Personen im Haushalt angepasst sein. Und natürlich kann man hier nach eigenen Vorlieben planen.
- Hausapotheke und Medikamente: Neben einer gut ausgestatteten Hausapotheke mit Verbandsmaterial, Wunddesinfektion und fiebersenkenden Medikamenten sollte jeder seine persönlichen Medikamente in ausreichender Menge vorrätig haben. Auch Hygieneartikel, Babywindeln und andere Dinge des täglichen Gebrauchs sollten vorhanden sein."
Und was ist, wenn es keinen Strom gibt?
NT: "Ein Stromausfall betrifft nicht nur das Licht, das Internet und die elektronischen Geräte in Küche und Haushalt. Was viele nicht bedenken: Auch die Wasserversorgung wird meist über elektrische Pumpen betrieben. Und die Heizung wird ebenfalls elektronisch gesteuert. Daher empfehle ich diese Maßnahmen:
- Wasser sichern: Falls der Strom länger ausfällt, wird früher oder später auch kein Wasser mehr aus dem Hahn kommen. Deshalb so früh wie möglich Wasser in Badewannen, Eimern oder Töpfen auffangen – auch für die Toilettenspülung, die ausfallen wird, wenn der Druck aus der Leitung weg ist. Fürs WC kann man z. B. das gebrauchte Wasser vom Kochen verwenden.
- Licht- und Wärmequellen: Taschenlampen mit ausreichend Batterien, Kerzen, Decken, Schlafsäcke und warme Kleidung bereithalten, wenn die Heizung ausgeht.
- Essen und Kochen: Ein Gaskocher oder Campingkocher hilft, Lebensmittel zu erwärmen oder Wasser abzukochen.
- Informiert bleiben: Ein batteriebetriebenes oder kurbelbetriebenes Radio mit DAB+ ist hilfreich, um auch ohne Internet oder Handy auf dem Laufenden zu bleiben."
- Powerbanks: Wenigstens eine Zeitlang kann man mit geladenen Powerbanks überbrücken und sein Handy nutzen - sofern das Netz nicht auch betroffen ist.
- Bargeld: Ohne Strom läuft auch kein Bankautomat oder EC-Karten-Lesegerät. Mit Bargeld kommt man dann zumindest etwas weiter, sofern nicht auch die Kassensysteme elektronisch laufen."
Was ist ein Notfallordner und wozu brauche ich den?
NT: "Ein Notfallordner ist eine Sammlung aller wichtigen Unterlagen an einem sicheren Ort. Er sollte Dokumente wie Versicherungs- und Bankunterlagen, Personalausweise, Geburts- oder Heiratsurkunde und weitere wichtige persönliche oder medizinische Informationen enthalten. Falls man plötzlich das Haus verlassen muss – sei es wegen Feuer, Hochwasser oder anderer Notfälle – hat man so alle essenziellen Papiere griffbereit. So einen Ordner sollte man in Ruhe zusammenstellen, nicht erst, wenn der Keller unter Wasser steht und man raus muss. Dann ist es meist zu spät. Jedes Familienmitglied sollte wissen, wo der Ordner steht. Mit den richtigen Dokumenten kann man im Ernstfall Versicherungsfragen oder Nachweise für Behörden zügig klären."
Gibt es etwas, was du speziell Familien mit kleinen Kindern empfehlen würdest?
NT: "Ja, gerade mit kleinen Kindern ist Vorbereitung besonders wichtig. Eltern sollten mit ihren Kindern altersgerecht über Krisenvorbereitung sprechen und sie in Vorbereitungen einbinden, zum Beispiel, wenn ein Notfallrucksack gepackt wird oder wo der Notfallordner mit allen wichtigen Dokumenten steht. Wichtig zu wissen: Kinder dehydrieren schneller als Erwachsene, also sollte immer genügend Wasser vorhanden sein. Wenn man das Haus verlassen muss, sollte man saubere, warme, trockene Kleidung im Notfallgepäck mitnehmen. Snacks wie Kekse oder Müsliriegel helfen, wenn das Essen knapp ist oder es lange dauert, bis Hilfe kommt. Das Lieblingskuscheltier oder ein kleines Spielzeug kann in einer Krisensituation viel Trost spenden, lenkt ab und sorgt für Beschäftigung. Aber am wichtigsten ist, dass Eltern Ruhe bewahren und für ihre Kinder da sind – Panik überträgt sich schnell."
Wie können Bürger sich aktiv am Bevölkerungsschutz beteiligen oder unterstützen?
NT: "Der wichtigste Beitrag, den jeder Mensch zum Bevölkerungsschutz leisten kann, ist, sich selbst gut auf Krisen vorzubereiten und so das offizielle Hilfesystem zu entlasten. Neben der Vorratshaltung, dem Notfallordner und den weiteren persönlichen Maßnahmen empfehle ich, einen Erste-Hilfe-Kurs mit Selbstschutzinhalten zu besuchen. Die Kurse sind kostenlos und vermitteln wertvolles Wissen, das im Notfall Leben retten kann. Man kann die Kurse auch online absolvieren. Und ich kann nicht oft genug wiederholen: Bitte lesen Sie regelmäßig die aktuellen Informationen und Handlungsempfehlungen des BBK und machen Sie sich mit lokalen Notfallplänen vertraut. Wer sich aktiv einbringen möchte, kann sich bei Hilfsorganisationen wie den Johannitern, dem Technischen Hilfswerk (THW) oder der Freiwilligen Feuerwehr engagieren und Teil einer großen Gemeinschaft werden. Krisenvorsorge ist keine Panikmache, sondern ein sinnvoller Beitrag zum eigenen Schutz und zur Unterstützung aller. Jeder kleine Schritt macht unsere Gesellschaft sicherer und widerstandsfähiger."