#KürztUnsNichtWeg: Johanniter unterstützen Kampagne zur Stärkung der Freiwilligendienste
Zum Aktionstag am 6. November weisen die Johanniter im Norden auf die Folgen der im Haushaltsentwurf des Bundes geplanten Kürzungen für Freiwilligendienste hin: Rund ein Viertel aller Einsatzstellen in den Freiwilligendiensten sind gefährdet.
Im Interview erläutert Helena Hasenkamp, Bereichsleiterin Kinder, Jugend und Freiwilligendienste im Landesverband Nord, warum es so wichtig ist, die Freiwilligendienste weiter zu fördern.
In welchen Bereichen werden Freiwilligendienstleistende bei den Johannitern im Landesverband Nord eingesetzt, und welche Aufgaben übernehmen sie?
Helena Hasenkamp: „Bei uns im Norden werden junge Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) oder im Bundesfreiwilligendienst je nach Region unter anderem in den Bereichen Kita, Rettungsdienst oder Erste-Hilfe-Ausbildung eingesetzt. Ihre Aufgaben variieren je nach Bereich. In der Kita unterstützen sie das Fachpersonal bei alltäglichen Aufgaben, etwa beim Spielen, beim Erklären, bei der Vor- und Nachbereitung oder auch beim Organisieren von Kita-Festen oder Thementagen, außerdem übernehmen sie kleinere Hilfstätigkeiten im Kita-Alltag. Im Rettungsdienst sind sie nach der Qualifizierung zum Rettungssanitäter die dritte Person auf dem Rettungs- oder Krankentransportwagen und übernehmen unterstützende Tätigkeiten für die Rettungskräfte. Im Bereich Erste-Hilfe-Ausbildung bereiten sie Kurse vor und nach, kümmern sich um die Ausbildungsmaterialien, unterstützen und begleiten unsere Fachkräfte und dürfen nach entsprechender eigener Qualifikation und Vorbereitung auch eigene Kurse durchführen. Wichtig ist, dass sie in allen Bereichen nur als Unterstützung eingesetzt werden und keinesfalls angestellte Kräfte ersetzen.“
Welche gesellschaftliche Bedeutung haben Freiwilligendienstleistende?
Helena Hasenkamp: „Ein Freiwilligendienst bereitet einen jungen Menschen auf das Berufsleben vor - und auf die Teilhabe in der Gesellschaft: Sie können im geschützten Rahmen ihre eigenen Fähigkeiten und Interessen kennenlernen, erhalten erste Einblicke in die Arbeitswelt und lernen, wie Teamarbeit funktioniert oder wie wichtig Zuverlässigkeit und Absprachen im Berufsleben sind. Außerdem trainieren sie wichtige soziale Kompetenzen wie Rücksicht, Empathie, gegenseitige Unterstützung oder Teamfähigkeit. In unserer Demokratie ist es elementar, dass junge Menschen frühzeitig verstehen, wie die komplexen Zusammenhänge in unserem Land ablaufen. So werden sie zu selbstständig handelnden Akteuren unserer Gesellschaft. Zum Beispiel erleben sie im Freiwilligendienst, wie bestimmte Entscheidungen der Politik direkte Auswirkungen auf ihr Arbeitsumfeld haben, also auf die Kita oder den Rettungsdienst. So bekommen sie demokratische Prozesse live mit. Sie erleben aber auch die eigene Selbstwirksamkeit, zum Beispiel, wenn sie in der Kita an den Bildungsprozessen der Kita-Kinder teilhaben und diese unterstützen. Sie sind selbst noch lernend, trotzdem aber schon Vorbilder für die Kleineren. Diese Erfahrung prägt fürs Leben. Gesellschaftlich relevant ist aber auch, dass junge Menschen durch den Freiwilligendienst mit Berufen in Berührung kommen, mit denen sie vermutlich sonst keine Überschneidungspunkte hätten: Wir begeistern junge Freiwillige für Tätigkeiten im Care-Bereich. Viele von ihnen finden dort ihre berufliche Zukunft. Das sind die zukünftigen Fach- und Führungskräfte in Berufsgruppen, in denen wir deutschlandweit einen Fachkräftemangel spüren.“
Warum ist es so wichtig, den Freiwilligendienst weiterhin zu fördern?
Helena Hasenkamp: „Wie bereits erwähnt: Im Freiwilligendienst können junge Menschen praktische Arbeitsbereiche im geschützten Rahmen kennenlernen und sich ausprobieren. Sie können einen Blick hinter die Kulissen werfen und dürfen lernen, dürfen auch Fehler machen. Wichtig ist jedoch die pädagogische und gerade in der heutigen Zeit auch die psychosoziale Begleitung, die Hilfe zur Berufsorientierung und die Unterstützung in Alltagsfragen. Diese Begleitung muss finanziert werden. Ohne sie ist kein Freiwilligendienst möglich! Die Einsatzstellen, zum Beispiel die Rettungswachen, können das nicht allein leisten: Es braucht geschultes Personal. Dafür brauchen wir weiterhin das Budget in voller Höhe. Mit unserer Position stehen wir nicht alleine da: Die Kürzungen sind für alle Träger ein großes Problem. Deshalb versuchen wir unsere Ansprechpersonen in der Politik zu überzeugen, die Kürzungen doch noch zu streichen. Im September haben wir zum Beispiel im Rahmen eines Austauschtermins unseres Landesarbeitskreises Freiwilligendienste Schleswig-Holstein mit Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré sprechen können. Sie hat uns zugesagt, dass sie sich dafür einsetzen will, dass nicht am Freiwilligendienst gespart wird. Es war ein sehr guter Termin. Die Sozialministerin ist voll im Thema und unterstützt trägerübergreifend die Belange des Landesarbeitskreises. Das ist sehr wichtig für uns.“
Und warum ist es gerade nach der Pandemie so wichtig, in junge Menschen zu investieren?
Helena Hasenkamp: „In der jetzigen Situation nach der Pandemie erleben wir einen nie gekannten Mehrbedarf an Betreuung und Begleitung der Freiwilligen. Besonders in den Seminaren, in denen wir die jungen Erwachsenen über mehrere Tage am Stück weiterbilden, sie an die Hand nehmen und ihnen Raum geben, ist das zurzeit spürbar. Es gerät jetzt schon bei einigen in Vergessenheit, aber die jungen Menschen haben in der Pandemie drei Jahre eine Art Zwangspause erlebt, in einer Zeit, in der normalerweise das Leben beginnt. Für viele von ihnen entfielen wichtige charakterbildende Situationen wie Freunde treffen, die erste Liebe, ausgehen, sich vom Elternhaus abnabeln und frei fühlen. Einige gewinnen ihre charakterliche Reife erst sehr verzögert, der Freiwilligendienst ermöglicht ihnen, das im geschützten Rahmen nachzuholen. Zugleich haben wir eine multiproblematische Situation: Neben den altersspezifischen Herausforderungen von jungen Erwachsenen und den Pandemieerfahrungen sind die Freiwilligen mit den Themen Klimakrise und den aktuellen Kriegen sehr befasst und belastet. Wenn wir jetzt nicht in diese jungen Menschen investieren, dann machen wir uns an ihnen schuldig. Wir sind dazu verpflichtet, sie in diesen schwierigen Zeiten zu begleiten.“