COVID-19: Belastungsprobe für Familien
Ausgangsbeschränkungen, Kita- und Schulschließungen, unfreiwilliges Arbeiten von Zuhause: Schnell hängt der Haussegen schief, wenn die Familie zu lange Zeit unter einem Dach verbringen muss. Expertin Helena Hasenkamp gibt Tipps für einen kühlen Kopf.
Tag 9 nach der Schul- und Kitaschließung. Familien sind von den derzeitigen Auflagen besonders stark betroffen – vor allem, wenn beide Eltern arbeiten. Nun ist der Wohnzimmertisch für viele zum Bürotisch umfunktioniert. Und gleichzeitig zum Schreibtisch für die Schulaufgaben. Klingt einfach – ist es aber nicht: Die Kinder wollen spielen statt Hausaufgaben machen, benötigen Aufmerksamkeit, Ablenkung und Betreuung. Und natürlich wollen sie rausgehen, toben, auf den Spielplatz oder Freunde besuchen – alles nicht möglich. Das bedeutet Stress für die ganze Familie. „Durch die Schließung der Betreuungseinrichtungen und Schulen ist die gesamte Tagesstruktur für Familien zusammengebrochen: Die Betreuung der Kinder lastet ganztägig voll auf den Schultern der Eltern, Großeltern fallen als Risikogruppe ja raus.
Gut zuhören - anderen und sich selbst
Meist sind es die Mütter, die nun Familie und Arbeiten von Zuhause unter einen Hut bringen müssen. Klar, dass das Menschen an ihre Grenzen bringt!“, sagt Helena Hasenkamp, Bereichsleiterin Kita, Jugend und Freiwilligendienste. „Viele Eltern stellen sich gerade selbst in Frage: Bin ich eine schlechte Mutter, ein schlechter Vater, wenn ich mein Kind vor dem Fernseher ‚parke‘, wenn ich doch für meinen Arbeitgeber einen Auftrag erledigen muss? Die Antwort ist ganz klar: Natürlich nicht! Wichtig ist gerade jetzt, dass alle Familienmitglieder klar miteinander kommunizieren, welche Regeln für die nächsten Wochen im Miteinander gelten. Wann müssen die Eltern ungestört arbeiten können, wann können sie Unterbrechungen einlegen? Welche Unterstützung brauchen die Kinder besonders? Gibt es Aufgaben, die sie vielleicht alleine erledigen können oder mit kurzer Anleitung? Auch für Paare sind jetzt gute Absprachen wichtig. Einen allgemein gültigen Plan gibt es dafür nicht, aber es gilt vor allem jetzt: Gut zuhören, was die anderen gerade brauchen – und gut in sich selbst hinein horchen, was man selbst benötigt, um gut arbeiten zu können, um gut in der Familie leben zu können.“
Die Situation verlassen, wenn man genervt ist
Eines macht Helena Hasenkamp besonders Sorgen: das Thema Kinderschutz. „Wenn Menschen sehr lange zusammen auf engem Raum eingepfercht sind, kommt es fast zwangsläufig zu Überreaktionen, weil jeder Mensch Privatsphäre braucht. Alle sind voneinander genervt. Das gilt auch für die liebevollsten Familien. Es ist normal und überhaupt nicht weiter schlimm – so lange es nicht in Gewalt umschlägt. Mit unseren Angeboten in der Familien- und Jugendhilfe entlasten wir Familien in belastenden Situationen. Die Corona-Pandemie stellt uns aber auch hier vor besondere Herausforderungen. Da mache ich mir schon Gedanken, wie es den Kindern geht und wie wir trotzdem helfen können. Ein Tipp, den wir allen Familien immer mitgeben, um ihre Beziehung miteinander zu verbessern und der gerade jetzt gut funktioniert, ist: Wenn man wütend wird, sollte man die Situation verlassen, also zum Beispiel den Raum, in dem die Kinder sind. Kurz an die frische Luft gehen, durchatmen, erst dann wieder zurückkommen, wenn man sich beruhigt hat. Das ist leichter gesagt, als getan – aber es entschärft den Streit sofort, wenn man die Situation kurz verlässt. Einfach mal selbst ausprobieren – damit lässt es sich auch in Quarantäne besser leben! Und mein ganz persönlicher Tipp an alle Erwachsenen: Bei allem gilt natürlich, dass der Spaß und die Freude über der Perfektion stehen. Es ist gerade ein Ausnahmezustand. Da gehen auch mal weniger als 100 Prozent…“
Familien, die nicht weiterwissen und Hilfe benötigen, wenden sich am besten telefonisch oder per Mail an ihre jeweilige Einrichtung, mit der sie in Kontakt sind.
Alternativ steht das Johanniter-Kinderschutzteam per E-Mail für Fragen zur Verfügung.