Wenn eine Frau erfolgreich ein diverses Team führt

Veronica Acanfora ist 41 Jahre alt und als Sachgebietsleitung im Fahrdienst Stuttgart tätig. Lesen Sie im Interview, was die Herausforderungen an einem vielfältigen Team sind und wie es ihr als weibliche Führungskraft bei den Johannitern geht.

 

Veronica Acanfora ist 41 Jahre alt und als Sachgebietsleitung im Johanniter-Fahrdienst in Stuttgart tätig. Die Eislingerin mit italienischen Wurzeln ist seit August 2021 verantwortlich für über 180 Fahrer und Fahrerinnen bei den Johannitern. Ihre Eltern sind vor 48 Jahren nach Deutschland ausgewandert, um hier zu arbeiten und ihren Kindern eine andere Perspektive zu bieten. Das Team der deutschen Neapolitanerin ist wie sie selbst: ein bunter Mix aus verschiedenen Nationen, Altersstrukturen, Geschlechtern und weiteren Merkmalen. Wir wollten von ihr wissen:

  • Wie ist es als weibliche Führungskraft bei den Johannitern?
  • Was sind die Herausforderungen, Stärken oder auch Schwächen in einem vielfältigen Team?
"Mein Fazit nach drei Jahren: Kunterbunt ist viel besser und auch witziger."

Frau Acanfora, wie sind Sie zu uns Johannitern gekommen?

In meinem vorherigen Leben war ich 13 Jahre lang Storeleitung bei einem führenden Computerhersteller in Stuttgart. Die Oberflächlichkeiten in dieser Branche haben mich immer mehr gestört. Der Zahlenruck war immens. Der Umgang mit den Kunden schwierig. Ich habe eine radikale Veränderung gesucht und wollte endlich etwas Gutes tun. Etwas mit Sinn.

Kurz noch ein paar Worte zu Ihrem Team. Wie ist es aufgestellt?

Es besteht aus rund 180 Mitarbeiter*innen, davon sechs FSJler, die zwischen 18 und 20 Jahre alt sind. Davon möchten die meisten durch das FSJ ihre Fachhochschulreife erhalten, um dann zu studieren oder eine Ausbildung zu absolvieren. 174 Fahrer*innen und Beifahrer*innen bilden den Kern meines Teams. Die Altersspanne hier ist von 19 bis sogar 80 Jahren. Darunter sind alle möglichen Schulabschlüsse und ehemaligen Berufssparten dabei. Meine beiden ältesten Fahrer sind 80 Jahre alt und wie viele andere Rentner, bessern sie ihre Rente auf. Auch Akademiker sind Teil meines Teams. Sie waren auf der Suche nach ganz andere Aufgaben, nach langer Berufsdauer in ihrem eigentlichen Tätigkeitsfeld. Teilweise geprägt durch Krankheit. Teilweise auf der Suche nach Sinn. Natürlich sind auch einige Menschen mit Fluchterfahrung in meinem Team, die dadurch ihr eigenes und das Leben ihrer Familie finanzieren. Die Anzahl der verschiedenen Nationen kann ich kaum überblicken. Alles ist dabei und das ist auch gut so. Mit dieser vielfältigen Gruppe an Menschen fahren wir rund 100 Bustouren vor allem in Ludwigsburg. Darunter sind die klassischen Schul- und Werkstatttouren oder der so genannte „Null-Tarif von der Stadt Ludwigsburg“. Dabei werden Menschen mit Mobilitätseinschränkung Fahrten zum Einkaufen, zu Arztterminen aber auch zu Freizeitaktivitäten angeboten. 

Wie ist es als weibliche Führungskraft im Fahrdienst?

Es kann manchmal herausfordernd sein. Meistens bei Männern. Sie sehen eine „junge Frau“ und versuchen, gegen Regeln oder Absprachen zu verstoßen. Es ist eher so wie ein Test, ob ich dann auch durchgreife. Und ja, das tue ich. 

War das von Anfang an so?

Nach zwei Jahren bin ich gefestigt und anerkannt in meinem Team. Das war zu Beginn anders. Viele Fahrer*innen waren schon einige Jahre hier tätig. Ich habe neue Regelungen und neue Strukturen mitgebracht und aufgebaut. Das stößt erstmal auf Abwehr und Unmut. Vor allem wenn man nicht mehr mit bisherigen Handlungen durchkommt. In Folge gab es also eine ruckelige Anfangsphase mit vielen Herausforderungen für uns. Sie dauerte über ein Jahr. Jeder musste sich platzieren und wir als Team zusammenwachsen. In der Regel wird es nach einem klärenden Gespräch dann verstanden. Unter meinen SGL-Kollegen und auch mit dem Regionalvorstand lief es von Anfang an sehr gut. Ich habe sehr viel Gestaltungsspielraum und einen Vertrauensvorschuss bekommen.

Ist die Vielfalt manchmal ein Thema im Team?

Selten, aber es kommt vor. Es gibt da kleinere Themen, wie z.B.: Zwei Menschen aus unterschiedlichen Nationen fahren zusammen im Bus. Der eine redet gerne viel und schnell und der andere versteht wenig und ist eher ruhig. Das kann zu einem Konflikt führen. Ist aber schnell in einem klärenden Gespräch geregelt. Es gab auch schon größere Themen. Bei denen es Äußerungen gegen eine Herkunft oder Glaubensrichtung gab. Das dulde ich überhaupt nicht. Hier folgt unmittelbar ein Gespräch und Konsequenzen. Menschen mit Fluchterfahrung sind fester Bestandteil in unserem Team und sie werden super aufgenommen. Ich positioniere mich hier ganz klar. So wie die ganze Johanniter-Familie auch. Ein Teil meiner besten Fahrer*innen sind Menschen mit Migrationshintergrund.

Gibt es durch die Vielfalt auch mal Konfliktpotential?

Nicht durch unsere Vielfalt, eher durch unser Aufgabenfeld. Die meisten Konflikte entstehen durch das unterschiedliche Verstehen von Regeln oder fehlendes Mitdenken. Das hat nichts mit Vielfalt zu tun, sondern viel mit bisheriger Berufserfahrung und natürlich der eigenen Motivation. Ich habe sehr fleißige Fahrer*innen, die vorausschauend handeln, sich selbst gut organisieren können und die Regelungen einhalten. Wie in jedem Team ist auch bei uns die andere Seite vertreten. Beides ist völlig unabhängig von Herkunft, Bildung oder Alter, usw.

Frau Acanfora, gibt es Stärken durch die Vielfalt?

Ja, vor allem im Umgang mit den Kindern und den Familien. Die Kinder sind offen und selbst kunterbunt. Die hauptsächlichen Schulbustouren sind für Kinder mit Beeinträchtigung. Von diesen 600 ist jedes einzigartig. So wie unserer Fahrer*innen und Beifahrer*innen. Die Kinder haben einen ganz anderen Blick auf die Welt und das Leben. Sie sehen keine Unterschiede. Sie sehen ein Miteinander und unsere Vielfalt bereichert das. Auch für die Eltern ist es oft einfacher durch unser „bunt sein“. Da beispielsweise ganz oft eine Person im Team ist, die Sprachkenntnisse hat, die der Familie helfen. Dadurch ist die Kommunikation so viel einfacher und Missverständnisse werden weniger. Das Vertrauen wächst und auch die Zusammenarbeit ist viel besser. Das kann ein*e Fahrer*in sein oder auch mal ein FSJler. Mein Fazit nach drei Jahren: Kunterbunt ist viel besser und auch witziger.

 Vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute für Ihre Arbeit!

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