28.10.2021 | Regionalverband Oberfranken

Ein Weg mit Hindernissen, aber auch Lichtblicken

Eine ehrenamtliche Trauerbegleiterin erzählt – Kinder, die Eltern oder Geschwister verloren haben, finden bei Lacrima ihren eigenen Weg durch die Trauer

Die Kinder der Lacrima-Gruppe Bayreuth legen Herbstmandalas aus Blättern, Kastanien, Zapfen und Ästen.

„Trauer ist nicht nur ein einzelnes, ganz bestimmtes, definiertes Gefühl, sondern eine wilde Mischung, die sich tagtäglich in etwas Anderes verwandeln kann – in ein anderes Gefühl oder eine andere Verhaltensweise. Und sie nimmt bei jedem eine ganz eigene Farbe, Form oder Stelle im Körper ein“: Yvonne Freytag hat sich bewusst dafür entschieden, der Trauer einen Platz in ihrem Leben einzuräumen. Sie hat sich zur Trauerbegleiterin weiterbilden lassen und hilft bei Lacrima, dem Trauerzentrum der oberfränkischen Johanniter, Kindern und Jugendlichen einen Weg durch ihre Trauer zu finden. Die jungen Menschen, die bei Lacrima betreut werden, haben eines gemeinsam: Sie haben etwas erlebt, das ihnen den Boden unter den Füßen wegreißt und müssen ihr Leben nach dem Tod von Mutter oder Vater, Bruder oder Schwester weiterleben.

Der Weg, den sie dabei zurücklegen, ist jedoch ganz individuell. „Für jeden, besonders aber für Kinder und Jugendliche, ist es schwer, den Tod einer Bezugsperson zu verstehen, zu verarbeiten und zu akzeptieren. Umso wichtiger ist es, im jungen Alter einen individuellen Weg des Abschieds und der Trauer zu finden, der einem die Angst vor dem Tod und den Schmerz ein wenig nimmt“, erzählt Yvonne Freytag. Die 26-Jährige hat als Jugendliche selbst den Tod eines Angehörigen erlebt. Im Rückblick empfindet sie den Umgang mit dem Thema in ihrer Umgebung positiv, doch sie erlebt oft, dass es meist anders ist: „In unserer Gesellschaft ist der Tod leider noch ein großes Tabuthema, sodass es vielen Familien schwerfällt, die Trauer zuzulassen, ihr Raum zu geben, sie offen zu zeigen und somit einen Umgang mit ihr zu erlernen oder auszuprobieren.“ Auch das will Lacrima ändern: „Ich habe Lacrima als einen geschützten Ort und eine Gemeinschaft kennengelernt, die Kindern sowie Eltern Halt und Orientierung in dieser Zeit anzubieten versucht.“  Deswegen hat sie entschieden, sich bei Lacrima ehrenamtlich zu engagieren und die Ausbildung zur Trauerbegleiterin zu absolvieren.

Bereits 2018 hat die Psychologiestudentin begonnen, das Team bei den Gruppenstunden in Kulmbach zu unterstützen. Alle zwei Wochen treffen sich Kinder in Kulmbach und Bayreuth und bald auch wieder in Bamberg zu ihren Lacrima-Gruppenstunden. Dort gibt es feste Rituale wie die Kerzenrunde am Anfang der Stunde, bei der ein Licht für die Verstorbenen angezündet wird, aber auch Raum für Gespräche, zum Basteln, Spielen und Toben. „Jede einzelne Stunde ist etwas Besonderes und zeigt, wie unterschiedlich man sich dem herausfordernden Thema Trauer annähern kann. Es sind die Kinder, die mit ihren Erzählungen, Emotionen, Bedürfnissen und ihrer Fantasie die Dynamik der Stunde prägen. Die Perspektive der Kinder bringt mich und meine Teamkolleginnen als Erwachsene immer wieder aufs Neue zum Hinterfragen und Nachdenken“, so die Ehrenamtliche. Dabei geht es durchaus nicht nur traurig zu: „Spiele, Spaß und Lachen dürfen natürlich auch nicht fehlen.“ Bis die Kinder ihren Weg gefunden haben, braucht es Zeit und Mut. Mut miteinander zu reden und seine Emotionen und Gedanken offen zu teilen. Als ehrenamtlicher Begleiter oder Begleiterin darf man keine Angst davor haben, die Kinder aktiv in diesen Prozess miteinzubeziehen, sie in ihrer Trauer zu sehen und zu begleiten – auch wenn sich die Trauer bei Kindern oft ganz anders zeigt, als es sich Erwachsene vorstellen.

Ein „einfaches“ Ehrenamt hat die 26-Jährige mit Lacrima nicht gewählt, aber auf jeden Fall eines, das sie auch persönlich weiterbringt: „Meine Tätigkeit bei Lacrima ist eine einzigartige Gelegenheit des Kennenlernens: ein Kennenlernen außergewöhnlicher und liebevoller Menschen, der vielen Facetten der eigenen Trauer und der meiner Mitmenschen sowie der eigenen Person mit allen Eigenschaften, Werten und Besonderheiten, die einen ausmachen. Jede Gruppenstunde und jedes Teamtreffen ist aufs Neue spannend, überraschend und anregend.“ Und natürlich berühren sie auch die Schicksale der Familien: „Es ist normal, sich anfangs Gedanken zu machen und unsicher zu sein, wie man sich verhalten und den Kindern oder Eltern begegnen soll, oder auch, dass einen manche Erzählungen nach der Gruppenstunde noch länger beschäftigen. Die Geschichten und Emotionen der Kinder sind wichtig, ebenso wie die Wahrnehmung eigener Gefühle und Gedanken. Dennoch fühle ich keine Belastung nach den Stunden, da mich die positive Energie der Kinder ansteckt und der Austausch mit dem Team stärkt.“

Gestärkt sind auch die Kinder, wenn die Betreuung bei Lacrima endet. Das Team von Lacrima kümmert sich im Schnitt mehrere Jahre um die Betroffenen, bevor sie ihren Weg alleine weitergehen. Denn etwas Wichtiges haben sie bei Lacrima bis dahin erlebt: „Der Abschied von den Verstorbenen ist ein Weg, den man Schritt für Schritt gehen muss, ein Weg mit Hindernissen und Situationen, an denen man vielleicht stecken bleibt. Aber es ist auch ein stetiges Voranschreiten, bei dem immer auch glückliche Momente ihren Platz finden. Man tastet sich langsamen an ein Leben ohne dieses Familienmitglied heran. Das ist schwer, bringt jedoch mit großer Sicherheit auch immer wieder Hoffnung, Lichtblicke, und Chancen zum Vorschein“, ist sich Yvonne Freytag sicher.

Wer Fragen zu den Lacrima-Gruppen oder zum Ehrenamt bei Lacrima hat, kann sich unter der Nummer 0951 20879874 oder per E-Mail an an das Team von Lacrima wenden. Nähere Informationen gibt es außerdem unter www.johanniter.de/oberfranken/lacrima.