Interview mit Heinrich Märkl: Ein Jahr Krieg in der Ukraine
Der russische Angriff auf die Ukraine fand am 24.2.22 statt und dauert heute ein Jahr an. Seither sind unzählige Menschen auf der Flucht. Ehemaliger Ortsverbandsbeauftragter Heiner Märkl beschreibt aus Sicht der Johanniter, was vor 365 Tagen passierte.
Erinnern Sie sich noch an den Tag zurück, an dem die erste Unterstützungsaktion für Geflüchtete aus der Ukraine im Landkreis Freising startete? Wie war das?
"Ich erinnere mich noch gut zurück. Der Krieg begann und wir steckten noch mitten im Corona-Marathon, der unsere Kräfte stark beanspruchte, teilweise sogar überlastete. Unsere erste Maßnahme war ein gemeinsames Treffen unter der Führung des Landrates mit allen Hilfsorganisationen vor Ort, bei dem wir die dringendsten Schritte besprachen. Dazu zählten Sicherstellung von ausreichenden Schlafplätzen, persönlichen Hygieneartikeln, Verpflegung, Dolmetscher, medizinische Versorgung bis hin zu Transportmitteln. In Freising sollten laut Verteilungsschlüssel kurzfristig mehrere Hundert Personen untergebracht werden, tatsächlich waren es viel mehr. Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die ankamen, waren wirklich am Ende."
Welche weiteren Herausforderungen gab es und wie haben Sie und Ihr Team diese gemeistert?
"Pro Turnhalle mussten ca. 150 Betten aufgebaut und in kleine Wohnzellen abgetrennt werden. Das erforderte einiges an Women- & Men-Power. Dabei war es den Familien, die ihre Heimat verloren hatten, natürlich wichtig, dass sie zusammenbleiben können. Außerdem steckten wir, wie schon berichtet, noch immer mitten in der Corona-Krise. So kam es auch, dass einige Vertriebene positiv getestet wurden und die damaligen Regelungen besagten, dass zudem alle Kontaktpersonen separiert untergebracht werden müssen. Das erschwerte die Unterbringung noch einmal stark. Für uns ehrenamtlich Helfende bedeutete das, dass kaum Zeit für Studium, Arbeit oder Familie blieb. All das stellten wir in den Hintergrund, um den Landkreis Freising in diesen beiden Katastrophen bestmöglich zu unterstützen.
Unter den Geflüchteten gab es auch ältere und kranke Menschen, die dringend medizinische Behandlungen benötigten. Deshalb setzten wir zusammen mit dem Rotary-Club München Flughafen ein Arzt-Mobil zur ersten Sichtung und Vor-Ort-Versorgung ein. Die dazu notwendigen Medikamente konnten wir durch ein unglaubliches Angebot einer Freisinger Apotheke erhalten. Die Besitzerin ermöglichte uns einen unbürokratischen und kostenlosen Erhalt der Medikamente, sodass wir schnell helfen konnten.
Tierische Begleiter gehörten auch zu den ukrainischen Familien. Das in einer großen Turnhalle in Einklang zu bringen mit Menschen, die Angst vor Tieren haben usw. stellte und vor eine fast unlösbare organisatorische Herausforderung.
Ständig an die Hinterbliebenen in der Heimat zu denken ist stark traumatisierend. Deshalb musste Ablenkung geschaffen werden. Beispielsweise mit selbstgestalteten Malbüchern von einer ehrenamtlichen Johanniterin aus unserem Ortsverband."
An welchen Moment im letzten Jahr, das Sie sicherlich vor große Aufgaben gestellt hat, erinnern Sie sich gern zurück?
"Mich begeisterte der unbeschreibliche Zusammenhalt und Teamgeist von ALLEN: Jung und Alt halfen zusammen, Privatpersonen, Ehrenamtliche und Unternehmen sowie alle Hilfsorganisationen und Behörden vor Ort."
Was ist Ihnen noch wichtig den Lesern mitzuteilen?
"Leider geht der Krieg weiter und es kommen jeden Tag noch immer Flüchtlinge im Landkreis an. Das ist aktuell in den öffentlichen Medien in den Hintergrund gerückt.
Derzeit bereiten wir diese beiden größten Katastropheneinsätze, die ich in 35 Jahren Ehrenamt erlebt habe, nach, gleichzeitig aber auch einen in der Zukunft eventuell drohenden Blackout vor. Vor der Lage zu sein hat uns oft genug schon gerettet.