Ein Jahr Kontaktbeschränkungen. So geht es Senioren.
Am 13. März jähren sich die ersten Kontaktbeschränkungen. Elisabeth Feustel, Gerontologin und Leiterin der Johanniter-Fachstelle für pflegende Angehörige berichtet, wie es Senioren geht.

Am 11. März 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO den Ausbruch einer Pandemie festgestellt, am 13. März 2020 folgten in Bayern erste Besuchs- und Kontaktbeschränkungen. Seit einem Jahr leben Senioren nun mit weniger Besuchen und der ständigen Gefahr einer lebensbedrohlichen Infektion.
Die Gerontologin Elisabeth Feustel leitet die Fachstelle für pflegende Angehörigeder Johanniter in München und begleitet Familien und Senioren.
Worüber sprechen Senioren in der Pandemie am häufigsten?
An oberster Stelle unterhalten sich Senioren über Aktuelles aus den Nachrichten – ich werde von meinen Klientinnen und Klienten erstaunlich umfassend über aktuelle Entwicklungen in der Coronapandemie informiert.
Gleich danach kommen Beschwerden über das blutrünstige und langweilige Fernsehprogramm, das man in so einer Situation doch wirklich aufheiternder gestalten könne. Der nächste Friseurbesuch wurde gerade zum Beginn des zweiten Lockdowns häufig angesprochen; inzwischen haben sich die Damen damit abgefunden, dass der Andrang aktuell besonders groß ist.
Worüber machten sich die Seniorinnen und Senioren Sorgen?
Besonders die Angst vor einer Ansteckung etwa beim Arztbesuch treibt viele um. Traurig sind viele Seniorinnen und Senioren, wenn sie selbst nicht mehr guten Gewissens einkaufen gehen und niemanden aus der Nähe sehen und umarmen können. Allgemein vermissen sie die persönlichen Kontakte und das Erleben von Alltäglichem. Eine der Damen litt beispielsweise während des heftigen Schneefalls darunter, diesen Winter keinen einzigen Schneemann zu sehen. Da konnte ich dann mit Schneemannfotos aus meinem nahe gelegenen Park zumindest ein bisschen aushelfen.
Gab es auch echte Notfälle?
Immer wieder kommen Senioren an ihre Grenzen, wenn der Lockdown abermals verlängert wurde oder es gesundheitlich nicht gut ging. Dann ist es wichtig, die entstandene Hoffnungslosigkeit aufzufangen und Gründe zu finden, für die sich das Weitermachen lohnt.
Eine der Seniorinnen wünschte sich im letzten Sommer so dringend echten Besuch, dass wir einen Notfallspaziergang mit Abstand gemacht haben. Nach ihrer Begrüßung – „Man will ja auch mal sehen, ob Sie inzwischen eine Wespentaille haben“ – war ich dann aber nicht mehr so sicher, ob es ein Notfall war oder eine Trainingskontrolle. Sie hatte mir nämlich zu Beginn der Pandemie vom Hula-Hoop-Trend erzählt und wir hatten beschlossen, gemeinsam dem Trend zu folgen und uns solche Reifen zuzulegen. Nun motivieren wir uns gegenseitig.
Welche Tipps haben Sie, um gelassen zu bleiben?
Viele Seniorinnen und Senioren haben bewegte Lebensgeschichten und sahen die Pandemie von Anfang an mit Vorsicht, aber insgesamt gelassen. Viele stellten Vergleiche mit vergangenen Zeiten an, in denen es ihnen schlechter ging als heute, und suchten bewusst die Vorteile der aktuellen Situation. Natürlich sei es belastend und jeder erfahre Einschränkungen im täglichen Leben, doch man habe genug zu essen, ein Dach über dem Kopf und würde ja weiterhin medizinisch versorgt. Mitfühlend zeigen sich alle mit der Jugend, die viel mehr verpasse als sie selbst.
Eine der Damen begann in der Pandemie ihr bisheriges Leben detailliert aufzuarbeiten und unternahm statt Fern- mehrere Biografiereisen durch die eigenen vier Wände. Sie sah sich alle Gegenstände an und erinnerte sich, was sie damit in Verbindung bringt. Die meisten können auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückblicken und sich daran erfreuen.
Überraschend für mich ist immer wieder, dass die Senioren den neuen Medien gegenüber offener sind als gedacht. Sie nutzen plötzlich Videotelefonie, um mit Kindern und Enkeln zu kommunizieren. Viele haben ein Gymnastikritual eingeführt, als Teil eines festen Tagesplans. Besonders wichtig ist Disziplin: jeden Tag zeitig aufstehen und sich an einen Tagesplan halten.