04.12.2024 | Regionalverband Bayerisch Schwaben

Wie Weihnachten zur Herausforderung wird

Warum die besinnliche Zeit für trauernde Jugendliche besonders schwer ist

Der Verlust eines nahestehenden Angehörigen ist immer eine tiefgreifende und herausfordernde Lebenserfahrung. Doch wenn Weihnachten vor der Tür steht, wird dieser Verlust für Kinder und Jugendliche und ihre Familien besonders spürbar. Die festliche Zeit, die für Wärme, Nähe und gemeinsame Erlebnisse steht, ist gerade dann, wenn geliebte Menschen fehlen, eine schmerzhafte Erinnerung an die Lücke, die der Tod hinterlassen hat.

Viviana Boy, Leiterin von Lacrima Kempten – einem Angebot der Johanniter für Kinder und Jugendliche, die einen nahestehenden Angehörigen verloren haben –, spricht über die besondere Belastung, die junge Menschen in dieser Phase empfinden. „Jugendliche stehen oft in einer verzwickten Lebenssituation, die sie gleichzeitig körperlich, geistig und emotional herausfordert. Wenn dann noch der Verlust eines nahen Menschen hinzukommt, erleben sie widersprüchliche Gefühle und intensive Stimmungsschwankungen“, erklärt Boy.

Diese widersprüchlichen Empfindungen hängen eng mit der Entwicklungsphase der Jugendlichen zusammen. „Obwohl sie sich oft erwachsen verhalten, sind sie in vieler Hinsicht noch Kinder, die Schutz und Geborgenheit brauchen“, betont Boy. Die emotionale Entwicklung hinkt der geistigen Reife oft hinterher, was zu einer Überforderung führen kann. „Sie überschätzen sich manchmal, was die Verinnerlichung der Realität des Todes noch schwieriger macht.“

Jugendliche haben oft Schwierigkeiten, ihre Ängste zu zeigen, weil sie diese als Schwäche empfinden. Diese Unsicherheit äußert sich dann häufig in Aggressivität oder verstärktem Rückzug. Sie ziehen sich möglicherweise auf ihr Zimmer zurück und verbringen viel Zeit allein, hören Musik oder versinken in Gedanken, um dem Alltag zu entfliehen. Manche reagieren gereizt auf harmlose Nachfragen der Eltern und lehnen Angebote zum Gespräch ab, was Eltern oft ratlos und verletzt zurücklässt. Besonders herausfordernd ist für Eltern und Angehörige, dass Jugendliche sich meist nicht innerhalb der Familie über den Verlust öffnen. Sie bevorzugen es, sich alleine in sozialen Netzwerken oder anderen Medien über die Krankheit oder die Todesursache zu informieren.

Gleichzeitig nehmen viele Jugendliche in der Familie eine besondere Verantwortung wahr. Sie sorgen sich um die verbleibenden Angehörigen und versuchen, stark zu sein. Dennoch ringen sie mit ihrer eigenen Trauer und ihrer Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit. „Der Gedanke an die Endlichkeit des Lebens wird in dieser Phase plötzlich realer“, so Boy. „Sie reflektieren intensiv über den Tod und stellen sich Fragen, die für sie vorher vielleicht undenkbar waren – wie Was passiert nach dem Tod?, Werde ich meine verstorbenen Angehörigen jemals wiedersehen?, Wie viele Jahre bleiben mir selbst noch?, Was ist der Sinn meines Lebens, wenn alles vergänglich ist? oder Wie würde meine Familie ohne mich zurechtkommen?.“

Das Verhalten der Jugendlichen gibt oft Anlass zur Sorge. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Jugendliche zurückziehen und dunkle Gedanken entwickeln“, schildert Boy. Sie wirken in der Familie oft unnahbar oder distanziert, was Eltern das Gefühl geben kann, sie nicht mehr zu erreichen. Wichtig ist es, hier Geduld zu bewahren und den Jugendlichen zu signalisieren, dass man da ist, ohne sie zu drängen. Ein einfaches „Ich bin für dich da, wenn du reden möchtest“ kann manchmal mehr bewirken als ständige Nachfragen. „Auch wenn es für Angehörige besorgniserregend sein kann, verherrlichen sie manchmal den Tod oder interessieren sich für verstorbene Stars. Wichtig ist, dies nicht sofort mit Suizidalität zu verwechseln.“

Wenn jedoch das Verhalten auffällig wird, etwa wenn Jugendliche über längere Zeit sehr depressiv wirken, nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen, sich stark selbst verletzen oder konkrete Äußerungen über Todeswünsche machen, sollte unbedingt professionelle psychologische oder ärztliche Unterstützung hinzugezogen werden. Lacrima ist ein niederschwelliges Angebot zur Trauerbegleitung und kein therapeutisches Programm, weshalb bei ernsthaften Krisen ärztliche Begleitung erforderlich ist.

Ein Unterschied zwischen Kindern und Jugendlichen besteht darin, dass jüngere Kinder oft auf direktere Weise über ihre Gefühle sprechen und starke emotionale Reaktionen zeigen können. Jugendliche hingegen verarbeiten ihre Trauer oft eher nach innen gerichtet und reflektieren komplexer über ihre Situation. Sie möchten sich häufig stärker von den Erwachsenen abgrenzen und ihre Unabhängigkeit betonen, auch wenn sie dennoch Geborgenheit und Verständnis benötigen.

Was können Eltern, Lehrer und Freunde tun, um Jugendliche in ihrer Trauer zu unterstützen? Viviana Boy unterstreicht, dass Jugendliche Freiräume brauchen, um ihre eigenen Wege in der Trauer zu finden. „Es ist wichtig, dass sie den normalen Abnabelungsprozess durchleben dürfen und ihre eigene Entwicklung nicht unterdrückt wird.“ Gleichzeitig sei es essenziell, dass sie Rückzugsmöglichkeiten haben, die Sicherheit und Geborgenheit bieten. Eltern sollten versuchen, eine Balance zu finden zwischen Schutz und Loslassen: Es ist hilfreich, gemeinsame Rituale wie ein Gedenken an die verstorbene Person vorzuschlagen, aber gleichzeitig zu akzeptieren, wenn der Jugendliche diese nicht mitmachen möchte. Sie brauchen verlässliche Ansprechpartner, einen kritikfreien Raum und Verständnis.

„Bei Lacrima Kempten bieten wir solche sicheren Räume“, sagt Boy. „In unseren Gruppen können sich Jugendliche mit Gleichgesinnten austauschen, ohne Angst vor Verurteilungen. Gerade vor Weihnachten versuchen wir, sie auf diese besonders schmerzhafte Zeit vorzubereiten, zu begleiten und zu unterstützen.“

In dieser besonderen Zeit des Jahres ist es entscheidend, Jugendliche in ihrer Trauer nicht alleine zu lassen, sondern ihnen verständnisvoll zur Seite zu stehen – ein Licht in der Dunkelheit zu sein. Weihnachten ist für viele eine Zeit der Freude, aber für manche auch eine Zeit der Trauer und Erinnerung. Jugendliche, die von einem Verlust betroffen sind, verdienen besondere Achtsamkeit und Unterstützung, damit sie ihren eigenen Weg durch die Trauer finden können.

Lacrima Kempten wird durch Spenden finanziert, ist für die Betroffenen kostenfrei und bietet sowohl Kinder- als auch Jugendgruppen an. Für mehr Informationen können sich Betroffene an Viviana Boy wenden, telefonisch unter 0831 52157202 oder per Mail unter lacrima.kempten@johanniter.de .

Weitere Informationen finden sich auf der Webseite: www.johanniter.de/kempten/lacrima.