30.01.2025 | Regionalverband Bayerisch Schwaben

„Warum hat Papa das gemacht?“

Trauer von Kindern und Jugendlichen nach einem Suizid in der Familie

Der Verlust eines Familienmitglieds durch Suizid ist für Kinder und Jugendliche eine der schwierigsten und schmerzhaftesten Erfahrungen, die sie machen können. Die ohnehin schon komplexe Trauerarbeit wird durch die besondere Art des Verlusts, die oft mit Scham, Schuldgefühlen, Wut und Sprachlosigkeit einhergeht, zusätzlich erschwert. Gabriela Becker, Leiterin von Lacrima Augsburg, betont: „Es ist entscheidend, Kindern und Jugendlichen Raum für ihre Trauer zu geben und ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihre Gefühle ohne Angst vor Verurteilung auszudrücken.“

Lacrima ist ein Angebot der Johanniter für Kinder und Jugendliche, die einen nahestehenden Angehörigen durch den Tod verloren haben. Mit Standorten in Augsburg, Kempten und Neu-Ulm bietet Lacrima eine geschützte Umgebung, in der junge Menschen lernen können, mit ihrer Trauer umzugehen und die schweren Verluste zu verarbeiten.

Für Kinder und Jugendliche, die einen geliebten Menschen an Suizid verloren haben, stellt sich die Welt auf den Kopf. Der Tod wirft Fragen auf, für die es oft keine einfachen Antworten gibt. Warum hat der geliebte Mensch diesen Schritt gewählt? Hätte man es verhindern können? Besonders bei jungen Trauernden fehlt oft das Verständnis für die Hintergründe einer solchen Entscheidung, sodass sie zu der Annahme neigen, selbst einen Anteil daran zu haben.

„Es ist ganz normal, dass Gefühle wie Wut und Schuld aufkommen. Wichtig ist, dass die Kinder lernen, diese Gefühle als Teil ihrer Trauer zu akzeptieren und sich nicht dafür zu schämen,“ erklärt Becker. Viele Kinder und Jugendliche verspüren Wut auf den Verstorbenen, weil er sie „zurückgelassen“ hat. Diese Emotion kann schwer zu bewältigen sein, insbesondere, wenn sie nicht in einem offenen, verständnisvollen Umfeld geäußert werden darf.

Offenheit und Kommunikation: Der Schlüssel zur Verarbeitung

Kinder und Jugendliche benötigen klare, ehrliche und altersgerechte Informationen über den Suizid. Gabriela Becker hebt hervor: „Kinder merken mehr, als Erwachsene oft denken und sie verdienen eine ehrliche Antwort.“ Der Versuch, die Wahrheit über die Todesursache zu verschweigen, mag aus der Absicht heraus geschehen, die Kinder zu schützen. Doch es führt häufig zu Verwirrung und Misstrauen, was die Trauerarbeit zusätzlich erschwert.

Ein Beispiel verdeutlicht, wie wichtig Ehrlichkeit im Umgang mit einem Suizid ist: Ein zehnjähriger Junge verlor seinen Vater an Suizid. Die Erwachsenen in seiner Umgebung entschieden, ihm die tatsächliche Todesursache zu verschweigen und erklärten ihm stattdessen, der Vater sei an einer Krankheit gestorben. Doch der Junge spürte, dass etwas nicht stimmte, da er aus Gesprächen der Erwachsenen widersprüchliche Informationen aufschnappte.

Verunsichert und mit vielen unbeantworteten Fragen zog er sich emotional zurück. Ohne eine klare Erklärung begann er, Schuldgefühle zu entwickeln und sich vorzustellen, er könnte etwas falsch gemacht haben, das den Tod des Vaters ausgelöst hatte. Diese Gedanken belasteten ihn schwer, da er niemanden hatte, an den er sich mit seinen Gefühlen und Ängsten wenden konnte.

Erst als er in einer Trauergruppe von Lacrima teilnahm, wo offen und altersgerecht über den Suizid seines Vaters gesprochen wurde, begann der Junge, sich zu öffnen. Durch die ehrliche Kommunikation und den Austausch mit anderen Betroffenen verstand er, dass er keine Schuld an dem Tod seines Vaters trug. Die Möglichkeit, seine Gefühle frei zu äußern, half ihm dabei, die Situation besser zu begreifen und mit seiner Trauer umzugehen.

Kinder stellen oft sehr direkte und für Erwachsene unangenehme Fragen, beispielsweise: „Wie hat der Papa das gemacht?“ oder „Wollte Mama uns nicht mehr?“ Erwachsene können auf solche Fragen schockiert reagieren, doch für Kinder ist es ein wichtiger Schritt, um den Verlust zu begreifen. Das Vermeiden von Antworten oder das Verschweigen der Wahrheit kann langfristig zu Misstrauen und einem Gefühl der Isolation führen.

Altersgerechte Trauerbegleitung

Die Trauerbegleitung von Kindern und Jugendlichen erfordert Einfühlungsvermögen und vielfältige Ideen und Wege. In den Gruppen von Lacrima bieten geschulte Ehrenamtliche den Kindern einen geschützten Raum, in dem sie über ihre Gefühle sprechen können. Gabriela Becker erklärt: „Kinder und Jugendliche durchlaufen in ihrer Trauer eine Vielzahl von Gefühlen, die alle ihre Berechtigung haben.“ Kreative Methoden wie Malen, Schreiben oder Rollenspiele helfen, Emotionen auszudrücken, die in Worten schwer zu fassen sind.

Besonders wichtig ist die Erkenntnis, dass sie nicht allein sind. Viele Kinder erleben das erste Mal, dass es anderen genauso geht wie ihnen, was sie mit ihren Gefühlen weniger isoliert fühlen lässt. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt dies: Ein 12-jähriges Mädchen, das ihre Mutter an Suizid verloren hatte, sprach in der Gruppe erstmals über ihre Wut und ihre Schuldgefühle. Durch den Austausch mit Gleichaltrigen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, fühlte sie sich verstanden und begann, ihren Verlust zu verarbeiten.

Gesellschaftliche Tabus und ihre Auswirkungen

Die gesellschaftlichen Tabus rund um Suizid erschweren die Trauerarbeit zusätzlich. Suizid ist in vielen Familien ein unausgesprochenes Thema, das aus Scham oder Angst vor Stigmatisierung verschwiegen wird. Gabriela Becker erklärt: „Familien fühlen sich oft allein gelassen oder gar stigmatisiert, was die Trauerarbeit zusätzlich belastet.“

In einigen Fällen wird der Suizid sogar verheimlicht, was besonders für Kinder und Jugendliche verwirrend sein kann. Sie spüren, dass etwas nicht stimmt und ziehen sich oft zurück, weil sie sich nicht trauen, ihre Beobachtungen oder Fragen anzusprechen. Trauergruppen wie die von Lacrima bieten hier einen sicheren Hafen, in dem Kinder und Jugendliche frei und ohne Scham über den Verlust sprechen können.

Die Rolle der Familie und der Gemeinschaft

Die Familie spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Trauer. Eltern oder Bezugspersonen sollten die Gefühle der Kinder ernst nehmen und darauf achten, dass sie sich nicht ausgeschlossen oder allein gelassen fühlen. Gleichzeitig können Eltern in ihrer eigenen Trauer oft an ihre Grenzen stoßen, was die Unterstützung durch Trauerbegleiter oder Trauergruppen noch wichtiger macht.

Auch die Gemeinschaft ist gefragt: Schulen, Freunde und Nachbarn können durch Verständnis und Unterstützung dazu beitragen, den jungen Trauernden zu helfen. Oft ist es hilfreich, das Gespräch über Suizid in einem sensiblen, aber offenen Rahmen zu führen, um Tabus zu brechen und den Kindern das Gefühl zu geben, dass ihre Trauer berechtigt ist.

Fazit

Die Trauer nach einem Suizid ist für Kinder und Jugendliche eine besondere Herausforderung, die ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen und Unterstützung erfordert. Eine offene Kommunikation, altersgerechte Begleitung und der Austausch mit anderen Betroffenen können dabei helfen, die vielfältigen Emotionen zu bewältigen. Gabriela Becker fasst zusammen: „Wenn wir Kindern und Jugendlichen zeigen, dass sie mit all ihren Gefühlen angenommen werden, geben wir ihnen die Kraft, ihren Weg der Trauer zu gehen.“ Nur so können sie lernen, mit ihrem Verlust zu leben und wieder Hoffnung für die Zukunft zu schöpfen.