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13.10.2018 | Hamburgische Kommende des Johanniterordens

Was wäre, wenn Paulus Recht hat und uns am Ende Gott erwartet? Ein Plädoyer für den Konjunktiv: Wir sind Möglichkeitsmenschen

An die Korinther schrieb Paulus einen Brief mit vielen Konjunktiven. Wenn Paulus Recht hätte, dass uns am Ende Gott erwartet und kein schwarzes Loch, dann hätten wir ein Ziel im Leben. Eine Predigt von Pastor Martin Hofmann.

Wäre, wäre, Fahrradkette, dichtete letztes Jahr der ehemalige Fußballgott Lothar M. Das ist zwar kein ganz echter Reim, aber immerhin Konjunktiv. Und Konjunktive sind in unserer Welt eine bedrohte Tierart. Entweder werden sie voller „würde“ umschrieben oder einfach gleich ganz weggelassen. Als ich noch Gehörlosenseelsorger war, steckte die Deutsche Gebärdensprache noch in den syntaktischen Kinderschuhen. Konjunktiv gab’s bei mir auf der Kanzel nicht. Entweder war eine Hand da oder nicht. Entweder ist was oder nicht. An, aus. Gut, böse. Hat sich was mit „wäre, wäre“. Ich bin sehr dankbar, dass ich damals nicht über 1. Kor 7 zu predigen hatte. Manch einer mag Konjunktive für die Spielwiese von übereifrigen Deutschlehrern halten. Aber eine Welt ohne Konjunktiv ist nicht nur sprachlich, sondern auch gedanklich ärmer.

„Was wäre wenn?“ ist grundsätzlich erst einmal eine Frage, die einen weiterbringt. Aber wie gesagt: Der Konjunktiv stirbt langsam aus, jedenfalls als Möglichkeitsform. Stattdessen sagt BILD Hauptsatz für Hauptsatz und Schlagzeile für Schlagzeile, was ist. Oder Herr Trump twittert im Indikativ. Oder manch einer in der bundesdeutschen Parteienlandschaft kann seine bemerkenswerte gedankliche Schlichtheit auch sprachlich sehr gut ausdrücken. Wir leben in einer Zeit der Welterklärer. Obwohl eigentlich alles immer komplizierter wird, erklären uns die Welterklärer, dass etwas so oder so ist, und zwar weil die Flüchtlinge daran schuld sind. Oder die Reichen. Oder VW. Festgemauert in der Erde scheinen manche politischen Überzeugungen, in Beton gegossen und stahlarmiert. Was soll so ein kleiner Konjunktiv schon gegen die sogenannte normative Kraft des Faktischen ausrichten?

Korinth: zwischen den Extremen Askese und Libertinismus

Unser Predigttext ist fast 2000 Jahre alt. Damals gab’s noch Konjunktiv, jedenfalls im Griechischen. Paulus schreibt der Gemeinde in Korinth, einer Hafenstadt, in der ganz viele verschiedene Menschen zusammenlebten, in der es sexuell eher freizügig daher ging und in der man, richtig, richtig viel Geld verdienen konnte. Non licet omnibus adire Corinthum. Nicht jedem ist es vergönnt, Korinth anzulaufen. Diese Weisheit geht auf Horaz zurück (Epistel, 1, 17, 36). Korinth: Eine Traumstadt, in der alles möglich schien. Und wenn alles möglich scheint, hat man die Qual der Wahl, irgendwo muss man sich entscheiden. Man kann nicht nur im Konjunktivischen leben.

So entschieden sich auch die korinthischen Christenmenschen zum Teil für das eine und zum Teil für das andere. So zerbröselte langsam aber sicher der ganze Leib Christi in verschiedene Kleingrüppchen. Die einen sagten, wir glauben, dass wir total erlöst sind und der Messias kurz vor Ankunft ist und entschieden sich, die kurze Zeit noch ganz fromm, sittsam und spaßbefreit abzuwarten. Die anderen glaubten auch, dass sie total erlöst seien und der Messias schon bald an die Tür klopfe und meinten darum: Bis dahin können wir es uns noch richtig gut gehen lassen, wir schmeißen alle Regeln und den Anstand über Bord und machen noch mal alles mit, jedenfalls bis der Herr kommt. Askese oder Libertinismus angesichts der Parusie, nennt das die Theologie. Kostverächter oder Lustmolche in der Hoffnung auf das unmittelbar bevorstehende Reich Gottes. So ein Spagat tut keiner Gemeinde gut. Darum macht Paulus das, was er immer macht in solchen Fällen. Er schreibt einen Brief - mit viel Konjunktiv, auch (das für die Graecisten) wenn er im Urtext im Rahmen einer Partizipialkonstruktion daherkommt:

Das sage ich aber, liebe Brüder: Die Zeit ist kurz. Auch sollen die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine; und die weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als behielten sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht. Ich möchte aber, dass ihr ohne Sorge seid.

Wie die Korinther dachte also auch Paulus, dass das Jüngste Gericht unmittelbar bevorstünde: Die Zeit ist kurz. Fast 2000 Jahre später wissen wir, dass das ein Irrtum war. Der Herr lässt auf sich warten. Wäre er schon gekommen, hätten wir es gemerkt…

Es dauert noch bis zum Reich Gottes

Wir sind noch himmelweit entfernt vom Reich Gottes. Paulus und Co. haben sich geirrt. Mich irritiert immer die hämische Genugtuung, die sich bei manchen breitmacht, die nicht an Gott glauben: Ihr habt euch verspekuliert, ihr hoffnungsfrohen Christenmenschen! Keine Spur von Frieden auf Erden und Brot für die ganze Welt! Keine Spur von einer Gerechtigkeit, die diese Welt in Ordnung bringt. Ätsch, falsch gehofft! Und natürlich haben sie Recht. Aber ist das ein Grund zur Selbstzufriedenheit? Dass diese Welt immer noch so ist, wie sie ist? Was machen wir nun mit unserem Text? Hat er sich erledigt, wenn wir aus dem Fenster schauen und sehen, dass der Messias noch himmelweit entfernt ist? Oder steckt in ihm noch eine Wahrheit, die größer ist als die Frage nach Tag und Stunde, zu der der Menschensohn kommen wird (Mt. 24,36)?

Es lohnt sich nicht, an Vergänglichem festzuhalten

Für Paulus scheint schon vor dem Himmelreich ein gutes Stück von der Freiheit eines Christenmenschen anzubrechen. Er verkündet den korinthischen Lustmolchen wie den Kostverächtern: Das Wesen dieser Welt vergeht. Um das zu wissen, muss man kein Christ sein. Nichts ist für die Ewigkeit, das lernen wir nicht nur unter der Kanzel, sondern auch auf den Friedhöfen und in den Krankenzimmern dieser Welt. Das kann man natürlich todesängstlich ausblenden. Aber man könnte (Konjunktiv!), man könnte auch aus dieser Vergänglichkeit Hoffnung und Freiheit lernen, eine gewisse Leichtigkeit des Seins: Es lohnt sich nicht, an Vergänglichem auf Teufel komm raus festzuhalten. Damit wird das Vergängliche nicht entwertet – das ist die paulinische Absage an die korinthischen Kostverächter. Paulus spricht mit keinem Wort gegen Sexualität, Trauer, Freude oder Konsum. Das alles hat sein Recht, aber es ist nicht das Letzte. Fromme Weltflucht ist nicht das, was Gott will. Der Lackmustest in allen Dingen ist folgender Konjunktiv: „Was wäre, wenn nicht?“ Wenn wir all diese Dinge nicht hätten, auf die wir unser Leben bauen. Da, wo dein Schatz ist, ist auch dein Herz. Das ist die paulinische Absage an die in Korinth, die immer alles haben wollen.

Lieben heißt nicht, jemanden zu besitzen

Die, die Frauen (oder Männer) haben, sollen sein, als hätten sie keine. Bei Trauungen erlebe ich immer wieder, wie sehr der Mensch an einen anderen sein Herz hängt. Er will sein ein und alles sein, wird nie ohne ihn leben können, will ihn haben bis in alle Ewigkeit oder zumindest, bis der Tod sie scheidet. Mal abgesehen davon, dass das eine furchtbare Überforderung für den Partner ist und nicht nur deutsche Ehestatistiken dagegen sprechen: Was ist denn mit dem Leben nach dem Tod des Partners, was, wenn der andere vergangen ist? Wie kann ein Leben gelingen, dass sich einem anderen mit Haut und Haaren verschreibt, der genau so zerbrechlich und vergänglich ist wie man selbst? Lieben heißt nicht, jemanden zu besitzen, sondern ihn für eine Zeit aus Gottes Hand geschenkt zu bekommen.

Die weinen, sollen sein als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht. Das ist kein Aufruf zur Apathie oder Leidenschaftslosigkeit. Das ist eine Frage der Richtlinienkompetenz. Sollte (Konjunktiv!), sollte es einen Herrn über unser Leben und unseren Tod geben, wäre es wirklich klug, sich allein von Gefühlen regieren zu lassen? Vielleicht könnten wir die Liste noch weiter fortführen: Die die Angst haben, sollen so leben, als hätten sie keine, die die Neid, Hass, Hoffnungslosigkeit haben, sollten so leben, als hätten sie keine. Wer auf einen neuen Himmel hofft, der wird nicht einfach schwärmerisch, sondern im Gegenteil: Er wird nüchtern. Der Nabel der Welt ist nicht der eigene Bauch. So schwer es auch ist: Es dreht sich nicht alles um unsere eigene Befindlichkeit.

Vor dem Handyregal verwechseln wir unser Sein mit Haben

Die, die kaufen, sollten so sein als behielten sie es nicht. Eine Binsenweisheit. Das letzte Hemd hat keine Taschen. Dass erst diese Kleiderordnung uns zum Genuss befreit, mögen manche nicht verstehen. Genießen kann man nur das, was man in Freiheit annimmt. Es ist ein Unterschied, ob man etwas haben muss oder möchte. Und was müssen wir nicht alles haben: weil es der Nachbar hat, weil es in dieser oder jener Gruppe, Klasse, Schicht einfach dazugehört, weil wir vor Kleiderkatalogen, Handyregalen und Autohäusern unser Sein mit Haben verwechseln.

Wäre, wäre, Fahrradkette. Was wäre wenn? Wenn wir mal so tun als ob, wenn wir – wie Robert Musil es sagt als „Möglichkeitsmenschen“ lebten? Was wäre, wenn Paulus Recht hat: Dass das Wesen dieser Welt vergeht und ein neuer Himmel uns erwartet? Es wird eine Zeit kommen, in der wir mit allen Menschen in Liebe und Friede sein können. Es wird eine Zeit kommen, in der unsere Tränen getrocknet werden. Es wird eine Zeit kommen, in der es so was von egal ist, ob wir einen Fiat Panda oder Porsche Cayenne fahren. Noch ist diese Zeit nicht da. Noch leben wir in Beziehungen, weinen oder lachen, fahren Panda oder Porsche. Genießen wir diese Zeit soweit wie möglich aus Gottes Händen. Und behalten wir dabei unseren Humor. Denn Humor ist eine ernste Sache. Er schafft die nötige Distanz zu allem, was diese Welt für wirklich todernst erklären will. Im Humor können wir einmal neben uns treten, um zu schauen: Schon komisch, was wir alles haben müssen, um zu sein.

Das Ziel ist das Ziel – nicht der Weg

Wäre, wäre, Fahrradkette. Was wäre, wenn Paulus Recht hat: Dass am Ende nicht das große Schwarze Loch steht, sondern Gott uns erwartet? Wenn unser Leben auf seine Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zielt? Noch ist diese Zeit nicht da. Aber wenn, (Konjunktiv!) wenn das stimmte, dann hätten wir keinen Grund zu resignieren, dann könnten wir dem Aberglauben abschwören, dass das hier sowieso alles nichts bringt, all die kleinen mühsamen Schritte Richtung Verständigung, das ganze Kleinklein, damit diese Welt ein wenig menschen- und gottesfreundlicher wird. Wir lebten dann auf Gott hin und nicht auf Teufel komm raus. Unser Leben hat ein Ziel. Und auch wenn sich das alle so gern auf Wandtapeten drucken: Der Weg ist nicht das Ziel. Das Ziel ist das Ziel. Wo wollen wir hin? Was bleibt uns wichtig? Wir sind Möglichkeitsmenschen. Wäre, wäre. Fahrradkette. Amen.

Text: ER Pastor Martin Hofmann