Kunstpause: Der Gnadenthron – eine Bildbetrachtung
"Du sollst dir kein Bildnis machen" - der spanische Maler Jusepe de Ribera setzte sich darüber hinweg und schuf ein Werk, das uns eindrucksvoll von der Geschichte der Auferstehung Christi erzählt. Ein Beitrag von Hauptpastor Alexander Röder.
Vorneweg: Beschreibung des Bildes „Der Gnadenthron” von Jusepe de Ribera (1591-1652)
Ein wunderbares Tenebroso-Gemälde. Thronender Gottvater – Ausdruck der Ruhe. Das Gesicht von Gottvater von tiefem Ernst und voller Wehmut. Im Gegensatz dazu das aufgebauschte rote, violett gefütterte Gewand, das die Bewegung der Wolkenberge aufnimmt und weiterträgt.
Liebevoll liegen die Hände des Vaters an der Dornenkrone des Sohnes. Christus, dessen Haupt vor Erschöpfung nach hinten gefallen ist, wird auf einem Bahrtuch gehalten, das Engel tragen. Die angewinkelten Beine schaffen den Eindruck eines Schwebezustandes. Es sind Licht- und Schattenflächen, auf denen Ribera das Bild aufbaut, Konturen werden völlig zurückgenommen.
Der Mantel Gottvaters begrenzt die düstere Zone im unteren Bereich von der reinen Lichtsphäre oben, die aus einer großen Anzahl von Engelköpfen besteht. Ein Doppelkreuz aus Licht strukturiert das Bild (vertikal: vom Kopf Gottvaters ausgehend über den gesamten Leib des Sohnes; horizontal: die Arme Christi sowie sein Bahrtuch). Dieses Kreuz wird zugleich gerahmt und aufgelockert durch die sechs Engelköpfe, die um das Tuch gruppiert sind.
Annäherung in Form einer geistlichen Betrachtung
„Du sollst dir kein Bildnis machen.“ Gottvater ist kein alter Mann mit langem weißem Bart; er ist kein zorniger Zeus und kein strafendes Ungeheuer. Das alles ist er nicht, hören wir immer wieder; wissen es auch, halten solche Bilder für einen Missbrauch.
Aber: Dürfen wir uns vorstellen, dass Gott sich freuen kann, dass er lächelt und lacht? Dürfen wir uns vorstellen, dass Gott traurig ist, tief traurig über verlorene Menschenleben? Dass Gott weinen kann über den Tod seines Sohnes? Ist das zu menschlich gedacht? Macht es Gott zu klein, zu emotional?
Der spanische Maler Josepe de Ribera hat danach nicht gefragt, als er sich über das klare Bilderverbot hinwegsetzte und ein Bild der heiligen Dreifaltigkeit schuf, das alles andere als triumphal oder prächtig ist: keine Herrscherpose für die Öffentlichkeit ist hier dargestellt, sondern der intimste Moment göttlicher Berührung. Gott selbst erfährt den Tod an sich. Der Ewige, der sich der Zeit und der Vergänglichkeit ausgesetzt hat, indem er Mensch wurde, trägt nun Zeit und Vergänglichkeit an sich.
„Ich habe dich nicht verlassen, mein Kind“ – scheint Gott zu sagen. „Niemals habe ich dich verlassen, auch nicht, als Du meine haltende Hand nicht mehr spüren konntest; auch nicht, als Du in Deiner Verzweiflung schriest: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Jetzt hast Du mich verlassen, mein Kind, und liegst tot vor mir. Wem kann ich meine Trauer klagen? Wer hört mich und tröstet mich in meiner göttlichen Einsamkeit?“
Dieses Bild zeigt keinen befriedigten Gott, der nun endlich das Menschenopfer erhalten hat, das einzig ihn noch versöhnen könnte mit der boshaften und schlechten Welt und Menschheit. Es zeigt keinen Gott, der Rache wollte oder Rache will. Dieses Bild zeigt in seiner Tiefe, was der Opfertod Jesu Christi am Kreuz für Gott bedeutet; und was er für die Welt bedeutet. Im Buch der Weisheit Salomos heißt es: „Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand und keine Qual rührt sie an.“
Gottes Hand rührt ihn an, den toten Sohn. Und Gott selbst, von dem Salomo bekannt hatte, dass er der König aller Könige und Herr aller Herren sei und der Himmel und aller Himmel ihn nicht fassen könnten, berührt jene Krone der Schmach, die Menschen seinem Mensch gewordenen Sohn auf das Haupt gedrückt hatten: eine Krone aus Dornen – ein Symbol des Spottes und der Verachtung. Gott selbst berührt die Qual, die seinen Sohn getroffen hat.
Als wollte er sagen: solche Qual, solche Verachtung, solcher Mangel an Liebe soll unter euch nicht sein, ihr Menschen. Dass ihr einander nach dem Leben trachtet, soll unter Euch nicht sein. Gott ist darüber nicht erregt. Er nimmt dieses Opfer an – sehr ernst und voller Wehmut, und doch als das, was es sein will: die Überwindung von Hass und Bosheit, die Möglichkeit, Keim eines neuen Lebens zu sein für uns Menschen. Gott nimmt dieses Opfer an, das die Erde ahnen lassen soll, worin der Friede im Himmel besteht.
Es ist der gemarterte Leib dieses toten Christus, der die neue, die endgültige Himmelsleiter bildet, von der Jakob noch geträumt hat. Da sah er die Engel Gottes auf der Leiter auf- und niedersteigen und schaute an der Spitze der Leiter Gott selbst. Der Traum, dass Gott auf die Erde komme, ist wahr geworden in Jesus von Nazareth, dem Kind in der Krippe, dem Wanderprediger, Heiler und Helfer. Das Ende aber dieser Geschichte war kein Traum mehr. Das Ende war am Kreuz.
Das Paradox: Gott spürt sein eigenes Totsein
Nun kehrt der Gekreuzigte zurück zu seinem Vater. Sein Werk ist vollbracht, sein Körper und seine Seele völlig erschöpft, hingesunken und unfähig, allein sich zu tragen. Selbst Gott ist tot in diesem Mensch Gewordenen. Ein unsagbares Paradox: Gott, der ewige und unsterbliche Gott nimmt den sterblichen Leib des Menschen und Gottes Jesus Christus in seine Hände. Gott spürt sein eigenes Totsein.
Hier aber deutet sich nun schon das Wunder an – kein Wunder für den Himmel, sondern für die Erde. Die Himmelsleiter wird wiederbelebt. Das Kreuz, das eben noch tiefe Schatten auf die Welt warf, weil daran das Leben erstarb, ist nun ein Kreuz aus Licht. Der Marterpfahl wird jetzt zum Lebensbaum: Licht bescheint den toten Leib des Gekreuzigten, Licht seine noch immer ausgebreiteten Arme, Licht sein Bahrtuch, das Engel kunstvoll halten. Das dunkle Kreuz der Erde erhält vom Himmel ein Licht, wird licht, wird Heil.
Vom Himmel ist das geschehen, und ist ein Wunder vor unseren Augen: Kein Zorn mehr, keine Rache, kein Ruf nach Vergeltung, kein ewiger Tod, keine Verdammnis. Vielmehr Versöhnung, Liebe und aufbrechendes Leben. Im Tod vertraut Christus seinem liebenden Vater – als bäte er: Ruf mich aus den Toten, lass mich auferstehen. Nicht für mich, für die Menschen. Nicht für den Himmel, für die Erde. Lass mich Leiter sein, Brücke und Bogen, der alles überspannt; lass mich der Weg sein, auf dem die Menschen ins Leben finden. Lass mich das Licht sein, in dem alle Dunkelheit vergeht. Lass mich das Leben sein, in dem aller Tod überwunden wird.
Gottes Wille ist ausgedrückt in der Schließe seines Gewandes, wie so oft in der Symbolsprache der christlichen Malerei, bei der die Gewandschließen der Bischöfe ein Spiegel ihres Herzens sein sollen. Gottes Herz ist der Heilige Geist, der Leben schafft. Gottes Herz ist die Überwindung von Trauer durch Freude, von Lähmung durch Leben, von Sprachlosigkeit durch den Ruf: Christus, steh auf von den Toten.
Doch dieser Ruf kann nur ergehen wo der böseste Feind Gottes besiegt ist: der Tod. Gott selbst ist seinen Tod gestorben. Gott selbst litt zutiefst darunter und hatte niemanden außer sich, der ihn trösten konnte. Gott selbst ist es aber auch, der allein aus dem Tod ins Leben rufen konnte. Und doch bleibt seit dem Karfreitag immer dieses Bild des Todes mitten im Leben und Licht des Himmels. Und es bleibt die Erfahrung der scheinbar untröstlichen Trauer Gottes selbst. Gott hat das ausgehalten, damit wir Menschen es ertragen können. Aber Gott hat seine Trauer überwunden und sein Wort wiedergefunden, das ganz zu Beginn der Schöpfung stand: Werde! Sei! Lebe! Als er dieses Wort seinem toten Sohn zurief, wurde die Welt neu.
Der Beitrag beruht auf einem Vortrag von Hauptpastor Alexander Röder für den Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer (AEU) im Februar 2021.