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01.11.2020 | Hamburgische Kommende des Johanniterordens

Die Zumutung annehmen und die Welt ins Gebete nehmen

"Die Zumutung annehmen und die Welt ins Gebete nehmen": Die Pandemie stellt uns vor große Herausforderungen. Die Bibel als "Liebesbrief Gottes an uns Menschen" hilft uns. Eine Predigt von Pastor Georg Knauer.

Liebe Gemeinde,

Briefe zu schreiben, das kommt einem heutzutage vielleicht etwas antiquiert vor …obwohl es etwas Wunderbares ist, erst recht, wenn man einen Brief vom Liebsten oder von der Liebsten bekommt. So einen Brief kann man immer wieder hervor nehmen, auch in ungewissen Momenten und sich vergewissern: „Hier steht’s! Auch wenn Du es manchmal nicht fühlst: Ich habe dich nicht vergessen – Du bist mir wichtig!“

Jede Beziehung braucht solche Momente der Vergewisserung, erst recht eine Liebesbeziehung. Auch die Beziehung von Gott zu uns Menschen. Deshalb gibt es  auch das wunderschöne Wort, dass „die Bibel der Liebesbrief Gottes an uns Menschen“ ist – hier haben wir es schriftlich, wie Gottes Herz für uns schlägt! Auch wenn wir es vielleicht gerade nicht fühlen. Gott seine Liebe zu uns Menschen zu glauben, nicht weil ich es gerade fühle, sondern weil es geschrieben steht … das ist reformatorischer Glaube!

So ein die Beziehung stärkender Brief, der eindeutig ist in seiner Aussage, ist dann ganz besonders von Nöten, wenn es gerade um die Beziehung alles andere als gut bestellt ist. Und das war es leider, wenn wir auf das Wort für die Predigt schauen. Das Volk Israel befand sich im Exil. Der Grund dafür war offensichtlich. Jeremia und andere Propheten hatten es immer wieder gepredigt: Vertraut doch auf Gott allein! Die Stabilität und Sicherheit der Nation verdanken sich nicht den ängstlich geschmiedeten machtpolitischen Allianzen mit den Nachbarn und Großmächten. Sondern allein das Vertrauen auf Gott und die Treue zu IHM haben Verheißung: „Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verlässt … Gesegnet aber ist der Mann, der sich auf den HERRN verlässt und dessen Zuversicht der HERR ist!“ (Jeremia 17,5.7)

Diese Botschaft war von Israel verhöhnt und verachtet worden. Eines Tages kam die Armee Babylons und nahm die Stadt Jerusalem ein.  Dann verschlepptesie die herrschende Oberschicht nach Babylon. Die Taktik bestand darin, alle Menschen mit Einfluss und Führungsqualitäten abzuziehen – Handwerker, Händler, politische Führer -, damit die übrige Bevölkerung von den Besatzern abhinge und sich unterwirft. Ohne Führung würden sich die Menschen wie Schafe dem von Babylon eingesetzten Marionettenkönig Zedekia und der Besatzungsarmee ohne große Auseinandersetzung unterwerfen - Interessanterweise wurde Jeremia zurückgelassen. Er war wohl so lange selbst von seinem eigenen Volk als Führer ignoriert worden, dass die Babylonier ihn nicht für wichtig genug hielten, um ihn ins Exil zu schicken.

Exil bedeutete: Die Menschen wurden entwurzelt. Das Land, das ihnen versprochen worden war, das sie besessen hatten, in dem ihre Identität als Volk Gottes geformt worden war, war weg. Sie wurden gezwungen, mehr als 1000 km durch die Wüste zu wandern, während ihre Häuser, der Tempel und die vertraute Hügellandschaft zurückblieben. In dem neuen Land, Babylon, waren die Bräuche fremd, die Sprache unverständlich und die Landschaft flach und formlos. Die Gesichter der Menschen waren so unbekannt wie sie selbst an diesem Ort.

In diese trostlose Situation hinein schrieb Jeremia diesen Brief im Auftrag Gottes an die nach Babylon Verschleppten. Unter den Exilanten gab es nicht wenige, die eine baldige Rückkehr nach Jerusalem erhofften und erwarteten – was man keinem in so einer Situation verdenken kann. Aber falsche, d.h. nicht von Gott berufene Propheten und Wahrsager in den eigenen Reihen schürten diese Erwartung in einer Weise, dass es für die Babylonier schnell nach Rebellion riechen konnte. Solche Gerüchte zu stärken, grenzte angesichts der Übermacht des Feindes geradezu an Selbstmord!

Deshalb ist dieser Brief Jeremias zum einen ein Trostbrief, der den ins Exil Verschleppten vergewissern sollte: Gott hat Euch nicht vergessen! Auch, wenn es im Moment anders aussieht: Er wird es gut mit Euch machen! „Denn so spricht der HERR: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe.  …“

Zum anderen ist dieser Brief aber auch eine Zumutung an die Deportierten in Babylon: Sie sollten sich einrichten in Feindesland; akzeptieren, dass auch die nächsten Generationen dort leben würden. Sie sollten suchen und unterstützen, was dem Feind nützt und hilft. Genau das erwartet Gott von den Seinen: Sie sollten die Deportation und den Aufenthalt über 70 Jahre dort als Gericht annehmen; nicht in erster Linie die Babylonier dafür verantwortlich machen, sondern sich selber kritisch hinterfragen und auch das Schwere aus Gottes Hand nehmen. Und sie sollten aus der Situation das Beste machen, nicht auf das sehen, was unmöglich, sondern was möglich ist.

Ja, das ist eine Zumutung, auch für unsere Ohren, gerade in der Situation, in der wir uns Corona bedingt gerade befinden – Es ist eine Zumutung, aber es steckt sehr viel Weisheit darin: „Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN; … denn wenn ihr’s wohlgeht, so geht’s auch euch wohl“.

Wir sind auch gerade gewissermaßen in einer „Exilsituation“, im „Feindesland“, von der Pandemie umzingelt und gefangen. Gelähmt fühlen wir uns und fragen uns: Kann uns das Gott wirklich zumuten wollen? Im Herbst schon der zweite Lockdown. Und ein Ende - es kommt darauf an, auf welche „Propheten“ wir hören wollen – ist, auch wenn ein Impfstoff gefunden wird, doch nicht wirklich absehbar. Denn wir Menschen ernten gerade das, was wir gesät haben. Dass wir immer höher hinauswollen, dass wir z.B. ohne Rücksicht auf Lebensräume von Wildtieren unseren Lebensraum immer weiter ausdehnen und deshalb auch weiterhin damit rechnen müssen, dass unbekannte Viren auf den Menschen überspringen, Unheil anrichten und Pandemien auslösen können. Gott lässt das Leid zu, das dadurch ausgelöst wird. Warum? Damit wir umkehren von unseren falschen Wegen! „Leid ist das Megaphon Gottes“, sagt C.S. Lewis – wollen wir uns die Ohren weiter zu halten, oder endlich einsehen, dass unsere Art zu leben diese Erde ruiniert, und wollen wir wirklich an unserem Lebensstil etwas ändern?

Liebe Gemeinde, Gott mutet uns diese Pandemie geradezu; wir wissen nicht, wann es wirklich besser wird. Aber gerade Jeremia zeigt uns einen Weg, damit konstruktiv umzugehen: „Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter; … mehret euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.“ Mit anderen Worten, nach Eugene Peterson: „Hört auf zu lamentieren! Das Ziel des glaubenden Menschen ist es nicht, es so bequem wie möglich zu haben, sondern so tief und gründlich wie möglich zu leben und die Wirklichkeit anzuerkennen – mit den Realitäten des Lebens umzugehen, auch mitten in der [Corona]- Krise Wahrheit zu entdecken, Schönes zu schaffen, Liebe zu leben. … Nur an dem Ort, an dem wir gerade sind, sollen wir Menschen sein. Die einzige Möglichkeit, die wir je haben werden, um aus dem Glauben zu leben, liegt in den Bedingungen, die wir heute zur Verfügung haben,…, die in diesem Moment herrschen.“

Liebe Gemeinde, das Exil, der Ort, an dem wir sind, aber nicht sein wollen, verlangt eine Entscheidung: Richte ich meine Aufmerksamkeit auf das, was in dieser Welt falsch läuft und was zurzeit nicht möglich ist und gehe in Selbstmitleid auf? Oder richte ich meine Energie auf das, was möglich ist; darauf, wie ich an dem Ort, an dem ich gerade bin, in der Situation, in der ich mich gerade befinde, so gut wie möglich im Sinne meines Schöpfers und Erlösers leben kann?! Hier, wie an jedem anderen Ort ist es möglich, Seinen Willen ernst zu nehmen.

Die Botschaft Jeremias an uns unterscheidet sich allein in der Ortsangabe. Manches lässt zur Zeit resignieren oderlähmt. Doch den christlichen Glauben kennzeichnet gerade ein Ja zum Leben im Hier und Heute. Ja, Gottes Wort ist eine Zumutung, nicht nur für die Juden damals, auch für uns heute. Aber es mutet zu, indem es Mut macht: Tut Gutes und betet. Unterschätzt nicht die Wirkung eures Tuns und vor allem nicht die Macht eures Gebets!

Mit der Aufforderung, zu beten, wird den Weggeführten zugleich bewusst gemacht: Auch in Babylon könnt ihr beten. Auch fern vom Tempel bin ich für euch erreichbar, ansprechbar. Ich höre euch, bin bei euch. Das konnten die Verbannten bis dahin nicht denken. Das ermöglichte neu ihr Gespräch mit dem lebendigen Gott.

Ich glaube, es ist in dieser Situation auch Gottes Auftrag für uns. Wir sollen als Gemeinschaft der Christen zum Wohl des Gemeinwesens beitragen und die Welt ins Gebet nehmen. Denken wir nicht klein von dem, was in unserer Gemeinde an und für Menschen trotz Corona geschieht. Denken wir nicht klein von dem, was unsere Fürbitte bewegt, wo für Menschen in Verantwortung gebetet wird, für Frieden in Stadt und Welt. Wo gebetet wird, ist das ein „Segen“! Da können wir Christenmenschen anderen und dieser Welt zum Segen werden.

Nochmal zur Erinnerung: Was Jeremia den Verbannten schrieb, mündet ein in eine bewegende Einladung zum Vertrauen auf Gott und seine Gnade, die über allem steht und durch alles hindurchträgt: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leids, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ ER sagt zu: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen“ IHN zu finden heißt, Zukunft und Hoffnung, erfülltes Leben und Frieden zu haben. Hier und heute und jetzt – und trotz Corona!

Der Text wurde übernommen aus dem Kommende-Kurier 2/2020 der Hamburgischen Kommende des Johanniterordens.