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14.01.2015 | Hamburgische Kommende des Johanniterordens

Der Streit ums Bild - über die Säkularisierung religiöser Kunst

"Der Streit ums Bild" - Alexander Röder, Hauptpastor St. Michaelis, in einem Gastbeitrag über den Streit um die Funktion und die Bedeutung von Bildern während der Reformationszeit und die Säkularisierung der religiösen Kunst nach der Aufklärung.

Auf Veranlassung von Kurfürst Friedrich dem Weisen wurde Martin Luther im Mai 1521 auf die Wartburg gebracht, um ihn aus der direkten Schusslinie seiner Gegner zu nehmen. Dieser Aufenthalt machte Luther nicht glücklich, ließ ihn gleichwohl schöpferisch tätig werden im Sinne der Reformation. In nur elf Wochen übersetzte er das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche. Doch von seinem Exil aus hatte Luther nur wenige Möglichkeiten, auf das reformatorische Geschehen in Wittenberg Einfluss zu nehmen.

Gerade dort verschärften sich in den folgenden Monaten die Umstände. Luthers Doktorvater Andreas Karlstadt empfand den Fortschritt der Reformen in der Kirche als zu langsam und zu wenig energisch. Seine Auslegung des göttlichen Gesetzes im Alten Testament war radikaler als die Luthers; und das betraf auch das Bilderverbot, wie es sich im 2. Buch Mose findet: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen… (20,4)

Dieses Wort unbedingt zu befolgen, war Karlstadts großes Anliegen. Alles andere hielt er für einen Bruch und eine Verkleinerung der Lehre Christi, wie er in seiner im Januar 1522 veröffentlichten Schrift „Von Abtuhung der Bilder“ formulierte. In der Folge kam es in der Stadtkirche von Wittenberg zum Bildersturm, bei dem ein Teil der Ausstattung der Kirche zerstört wurde.

Karlstadt hielt Wort und Sakrament in ihrer Reinheit und Schlichtheit für die einzig akzeptablen Formen, die Gegenwart Gottes darzustellen. Um diese Sicht zu dokumentieren und zugleich zu demonstrieren, hatte er schon in der Weihnachtsmesse des Jahres 1521 die Messgewänder verworfen und in Straßenkleidung das heilige Abendmahl eingesetzt und unter beiderlei Gestalt (Geschlecht?) ausgeteilt.

Für Martin Luther war dieses Vorgehen inakzeptabel. Er verließ im März 1522 die Wartburg und kehrte nach Wittenberg zurück, um dem Bildersturm ein Ende zu machen. Luther rief in einer Reihe von Predigten zur Mäßigung auf. Der Christenmensch müsse und solle für Gott und dessen Wort eintreten, er solle es aber in Geduld mit Rücksicht auf den Nächsten tun, so Luther.

Luthers Ansatz in der Bilderfrage ist ein doppelter und ein bedingt positiver. Seine Vorgaben lauten: Freiheit und theologische Gemäßheit. Vor der Reformation wurden die meisten Kunstwerke für die Kirchen als so genanntes Seelgerät gestiftet. Das Ansehen des Stifters vor Gott sollte verbessert, seine Zeit im Fegefeuer verkürzt und ein „gutes Werk“ gegeben werden. Die reformatorische Theologie verwarf das als Versuch, sich den Himmel zu verdienen. Doch Bilder aus diesem Grunde generell zu verbieten und sich dazu auf das Bilderverbot des Alten Testaments zu berufen, war in den Augen Luthers nichts anderes als ein neues Gesetz, das die Freiheit des Christenmenschen beschnitt.

Luther redet vom Wort her für die Bilder und von seiner Auffassung, dass das Denken und Reden in Bildern zur Natur des Menschen gehöre. Er schreibt dazu in seiner Schrift ‚Wider die himmlischen Propheten’ (1524/25, WA 18, 83, 6-12): „So weys ich auch gewiss, das Gott will haben, man solle seyne werck hören und lesen, sonderlich das leyden Christi. Soll ich’s aber hören oder gedencken, so ist mirs unmüglich, das ich nicht yn meym hertzen sollt bilde davon machen, denn ich wolle, oder wolle nicht, wenn ich Christum hore, so entwirft sich yn meym hertzen eyn mans bilde, das am creutze henget, gleich als sich meyn andlitz naturlich entwirft ins wasser, wenn ich dreyn sehe. Ists nu nicht sunde sondern gut, das ich Christus bilde ym herzten habe, warumb sollts sunde seyn, wenn ich’s yn augen habe?“

Christliche Bilder hängen für Luther also am Wort, das „Christus treibt“, und zwar als Gekreuzigten und Auferstandenen. Sie sollen den Menschen im Glauben voranbringen und näher zu Christus führen. Solche „guten Bilder“ kann es in der Kirche geben, weil es sie in uns gibt.

Heilsnotwendig aber sind sie nicht, und wo es keine Bilder gibt, wohl aber das Wort der Bibel und die Feier der Sakramente – wohlgemerkt nicht als Ausnahme, sondern als Regel zumindest an jedem Sonntag – da fehlt dem Glauben nichts.

Bilder gehören zu den Mitteldingen, von denen die lutherische Reformation gern spricht. In einem Punkt sind sich Karlstadt und Luther einig: Ein kultischer Wert kommt Bildern nicht zu. Die lutherische Reformation hat den Bildern jeden sakralen Wert abgesprochen und sie damit säkularisiert, weil sie – so der Hamburger Theologe Traugott Koch – den Glauben als einen inneren Ort lehrt, „wo Gott im Geist und in der Wahrheit wohnt...“ (zitiert bei Horst Schwebel, Evangelium und Raumgestalt, in: Kirchenräume – Kunsträume, Münster 2002).

Bilder in den Kirchen haben fortan zwei Zielrichtungen: Zuerst sind sie Zierrat, um die Kirche zu schmücken. Dabei sollen sie niemals den Blick auf das gottesdienstliche Geschehen einschränken oder vom Geschehen um Wort und Sakrament ablenken. Es ist von dieser Haltung her nicht verwunderlich, dass viele Altarbilder in lutherischen Kirchen bis ins 20. Jahrhundert die Ereignisse von Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern im Bild festhalten und damit im Bild „treiben“, was das lutherische Abendmahlsverständnis lehrt, dass nämlich im Sakrament der gekreuzigte und auferstandene Herr begegnet.

Daneben verfolgen Bilder den reformatorischen „Bildungszweck“. Sie repräsentieren den Anspruch der Reformatoren, nicht nur religiös, sondern theologisch, vor allem aber biblisch gebildete Gemeinden zu schaffen. Bilder haben einen katechetischen Zweck; sie sollen belehren, unterweisen und erbauen.

Von einem subjektiven Bildverständnis zu sprechen, das Luther geprägt habe, und damit einer Subjektivierung objektiver christlicher Glaubensaussagen, wie es von manchen Kunsthistorikern vertreten wird, halte ich für gewagt – zumindest für die Zeit bis zur Aufklärung in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Das Lehramt in der Kirche hat es eben doch gegeben – gegen alle offiziellen Beteuerungen heute –, und zwar in der Person des Pfarrherrn oder des Hausvaters in der häuslichen Gemeinde. Allerdings wird das Bild nun entsprechend lutherischer Theologie auf den Einzelnen bezogen in seiner unmittelbaren Beziehung zu Gott – als jeweils ein Glied am Leibe Christi. Das ist etwas anderes als neuzeitlicher Subjektivismus.

Bis ins 18. Jahrhundert bleibt Luthers Bildverständnis für die evangelische Kirche und Theologie weitgehend prägend, bleibt in der evangelischen Christenheit auch die objektive Sicht auf christliche Bilder erhalten: Ein Bild des Auferstandenen wird nicht subjektiv gedeutet, je nach Auffassung eines Menschen, sondern objektiv nach der Aussage der Schrift über die Auferstehung Jesu Christi und nach der Lehre der Kirche, was diese Auferstehung für den glaubenden Menschen bedeutet, was wiederum nur der Schrift entnommen und gemäß der Schrift gelehrt werden kann.

Seit der Aufklärung jedoch sind Kunst und Religion im Protestantismus nur noch schwer zusammenzudenken. Klassisch ausgedrückt findet sich das in einem Brief Caspar David Friedrichs an Luise Seidler vom 9. August 1815 über sein Bild „Das Kreuz an der Ostsee“. Er schreibt darin: „Das Bild, für Ihre Freundin bestimmt, ist bereits angelegt, aber es kommt keine Kirche darauf, kein Baum, keine Pflanze, kein Grashalm. Am nackten steinigen Meeresstrande steht hochaufgerichtet das Kreutz, denen, so es sehen, ein Trost, denen, so es nicht sehen, ein Kreutz.“ (Zitiert nach: Werner Hofmann, Luther und die Folgen für die Kunst, in: Die Kunst und die Kirchen, München 1984, S. 70)

Ein entscheidendes Merkmal christlicher Kunst ist nun ihre Symbolhaftigkeit. Ihr Wert erschließt sich jenseits von Ästhetik und künstlerischer Qualität durch den „Dialog“, den sie im Blick auf religiöse Empfindungen und im Nachdenken über den Glauben beim einzelnen Betrachter auslöst.

Die Entsakralisierung und Säkularisierung der religiösen Kunst durch die reformatorische Theologie und ihre Subjektivierung seit der Aufklärung haben zur Folge, dass religiöse Kunst keine Objektivität mehr beanspruchen kann im Sinne einer religiösen Übereinstimmung aller, die sie betrachten.

Beitrag: Pastor Alexander Röder