Johanniter - Ausgabe 2/2024 - Ganztag
Immer auf Augenhöhe.
Mit dem Ausbau ihrer Ganztagsangebote sorgen die Johanniter ganzheitlich und facettenreich für Betreuungs- und Bildungsangebote. So wie im „Zauberhut“ in Eutin, wo gemeinsam gelernt, gewerkelt, gespielt und gepflanzt wird.
Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen – so ein altes Sprichwort. Doch was, wenn es dieses Dorf so nicht mehr gibt? Hohe Jobanforderungen, familienunfreundliche Arbeitszeiten, die Großeltern oft nicht mehr im selben Ort: Nicht nur im städtischen Umfeld wächst der Bedarf, die Kinder auch nach dem Unterricht noch in guten Händen zu wissen.
Zuletzt haben auch viele Corona-Studien belegt, wie wichtig für Kinder der Kontakt zu Gleichaltrigen ist und dass sie ihre Freizeit besser nicht nur allein zu Hause verbringen sollten.
Von August 2026 an haben alle Kinder der ersten Klassenstufe einen Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung. Für einige Bundesländer be deutet dies kaum eine Herausforderung – gerade in den neuen Bundesländern war die Ganztagsbetreuung mit Hort nach der Grundschule völlig normal.
Zum Teil haben sich dort die Strukturen erhalten. Doch viele der alten Bundesländer haben Nachholbedarf und bauen ihr Angebot offener Ganztagsschulen erst jetzt langsam aus. Schulen brauchen hier vertrauensvolle Kooperationspartner – wie die Johanniter.
„Wir sind als Träger von offenen Ganztagsangeboten schon für viele Schulen aktiv“, erklärt Julia Fischer, Referentin Kinder- und Jugendhilfe in der Bundesgeschäftsstelle der Johanniter. „Uns zeichnet vor allem unser Qualitätsstandard aus: Wir verstehen das Bildungsangebot auch am Nachmittag ganzheitlich, setzen nicht nur auf Betreuung, sondern auf Förderung. Uns ist auch die Kommunikation auf Augenhöhe wichtig, nicht nur von Erziehenden und Kindern, sondern auch zwischen Schule und unseren Mitarbeitenden.“ Dazu gehört ein regelmäßiger Wissenstransfer: „Unsere pädagogische Grundhaltung stellt die jungen Menschen in den Fokus, wir wollen durch unsere Angebote Chancengleichheit schaffen, Begabungen und Bedarfe erkennen. Dazu braucht es den intensiven Austausch mit den Lehrkräften – schließlich sind es dieselben Kinder, die sie vormittags und wir nachmittags erleben“, so Julia Fischer.
Immer in Kontakt
Im „Zauberhut“ in Eutin, einem ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangebot der Johanniter im Regionalverband Schleswig-Holstein Süd/Ost, werden diese Prinzipien täglich in die Tat umgesetzt. Angegliedert an die Gustav-Peters-Schule finden hier 356 Kinder auf dem großzügigen Schulgelände Raum, um zu lernen und zu wachsen. „Der stetige Kontakt mit den Lehrenden ist uns wichtig: Einmal pro Woche tauschen wir uns mit der Schulleitung aus. Wir nehmen an den Lehrkräftekonferenzen teil, betreiben als gemeinsames Projekt den Schulgarten und sind auch mal vormittags dabei“, sagt Irina Lüth, Leitung des Ganztagsangebots „Zauberhut“.
Gerade diese unterrichtsbegleitende Betreuung würden sie und ihre insgesamt 35 Mitarbeitenden gern ausbauen. „Wir haben an der Schule eine tolle Lehrküche und die Lehrkräfte wünschen sich einen Hauswirtschaftsunterricht – das wäre ein großartiges Angebot.“
Allerdings stehen ihr dazu die verfügbaren Arbeitszeiten im Wege. „Leider haben wir vor allem Halbtagskräfte – da kommt der Vormittag zu kurz“, erklärt sie. Umso mehr passiert am Nachmittag: „Natürlich gibt es eine Hausaufgabenbetreuung. Unsere Mitarbeitenden engagieren sich in eigener Initiative aber auch in Projekten wie der Werk-, Garten- oder Back-AG“, so Irina Lüth.
Dieses Engagement weiß auch Oliver Martins, Leiter der Gustav-Peters-Schule, zu schätzen. Seit fast fünf Jahren bringt er in Eutin gleich drei Standorte mit insgesamt 650 Schülerinnen und Schülern unter einen Hut: neben dem Haupthaus in der „Blauen Lehmkuhle“ auch die Außenstellen „Am See“ und „Fissau“, eine ehemalige Dorfschule. Allein, dass die Johanniter als großer Verband für alle drei Orte die Ganztagsbetreuung übernommen haben, ist für ihn ein logistischer Vorteil: „Wie wichtig ein Hand-in-Hand von Schule und Träger des Ganztagsangebotes ist, sehen wir ganz praktisch bei der aktuellen Planung unseres Neubaus des Schulgebäudes ,Am See’. Wir überlegen gemeinsam die Bedarfe für beide Hälften des Schultages.“
Platz da!
Denn tatsächlich ist die zentrale Herausforderung im „Zauberhut“ wie vielerorts die Raumnot. Trotz eines gut angelegten Konzeptes gibt es mittlerweile zu wenig Platz für die Anzahl der jungen Menschen, die das ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebot besuchen. Eutin wächst, mehrere Wohnviertel sind bereits geplant, das Einzugsgebiet der Schule ist groß und jedes Jahr sieht sich Schulleiter Oliver Martins mit mehr Einschulungsanfragen konfrontiert. „Und das bedeutet auch eine stetig wachsende Zahl von Kindern, die zu uns in die Ganztagsbetreuung kommen wollen“, erklärt Irina Lüth.
Hier hilft erneut die Kooperation: „Für die Hausaufgabenbetreuung nutzen wir die Schulräume – ergibt ja keinen Sinn, wenn die den halben Tag leer stehen.“ Geleitet wird die Hausaufgabenstunde etwa von Nora Riemichen. Die gelernte Erzieherin studiert vormittags Pädagogik in Kiel und begleitet Kinder im Ganztag. „Die festen Strukturen, die wir hier bieten, sind besonders wichtig. Und die Möglichkeit, auch mal über das Zuhause zu sprechen“, erklärt sie. Wie sie das meint, zeigt sich schnell. Der zehnjährige Juri* - begeisterter Handballer und „Minecraft“-Spieler – erzählt schnell von den drei Wohnungen, zwischen denen er pendelt: Großeltern, Papa, Mama. Und auch die elfjährige Marie* lächelt fröhlich: „Hier kann ich mit meinen Freunden Fußballspielen und die Erzieher sind alle freundlich.“
Helfen lernen
Doch den ganzen Tag im immer gleichen Raum, das tut keinem gut. Und so finden zum Beispiel die „Blaulichtzwerge“ in den Räumen des „Zauberhutes“ statt. Die Erste-Hilfe-Kurse für Kinder sind ein Highlight der Ganztagsbetreuung und wurden im Regionalverband entwickelt. Spielerisch in Form einer Reise zeigen Johanniter wie Beate Edlerden Kindern die wichtigsten Verhaltensweisen bei Verletzungen und Unfällen. Die gelernte Verkäuferin wollte sich beruflich verändern und erinnerte sich an ihren Berufswunsch Kinderkrankenschwester. So ist sie als Quereinsteigerin bei den Johannitern gestartet und hat nun viel Freude daran, mit den Kindern zu arbeiten. „In den Kursen lernen die Kinder auch, auf andere zu schauen, sich zu kümmern“, erklärt die 59-Jährige. Später sind sie mit einer Sanitätstasche in der Schule unterwegs und als Ersthelfende hochgeachtet. Der Kurs endet mit einer Prüfung und einem Besuch der Rettungswache. Ein Höhepunkt für die Kinder – auch so kann man dem Fachkräftemangel im Sanitätsdienst entgegenwirken.
Mit dem sieht sich aber auch die Leitung des „Zauberhuts“ konfrontiert. Der Mangel an ausgebildeten Fachkräften zeigt sich auch in Eutin. Der Dienst ist dringend auf Quereinsteigerinnen wie Beate Edler angewiesen. Gleichzeitig würde die Teamleitung ihre Mitarbeitenden auch gern weiterqualifizieren: „Wir wünschen uns gezielte Fortbildungen für unsere Arbeit im Ganztag. Viele Angebote sind allein für den Kita-Kontext konzipiert und daher auch nur dort gut anwendbar“, sagt Claudia Lejeune, stellvertretende Leitung des „Zauberhuts“ und für den Standort „Am See“ zuständig. Was fehlt, ist ein Fortbildungsangebot, das direkt in den Praxisalltag eingebaut werden kann und auf die Altersgruppe von Kindern anGrundschulen zugeschnitten ist.
Aktuell werde auf Ministerien-Ebene an einem Curriculum für eine pädagogische Basisqualifikation für nicht pädagogische Mitarbeitende im Ganztag gearbeitet, weiß Julia Fischer. Wie und wann diese zur Verfügung steht, ist bisher nicht absehbar. Denn alles rund um Bildung ist sogenannte Ländersache – Entscheidungen und Bundesgesetze wie der ab 2026 gültige Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung geben nur grobe Rahmen, welche die einzelnen Bundesländer dann ausgestalten. Bleibt zu hoffen, dass dies möglichst an vielen Schulen so gut gelingen kann wie an der Eutiner Ganztagsschule. / Peter Altmann
* Namen von der Redaktion geändert.