Kambodscha: “Gewalt gegen Frauen ist kein Frauenthema”
Berlin / Phnom Penh, 01. Dezember 2020
Im Rahmen der Aktionstage gegen Gewalt an Frauen machen wir auf die Situation in einigen unserer Projektländer aufmerksam. In Kambodscha arbeiten wir mit der Organisation Women Peace Makers (WPM) zusammen, deren Leiterin Suyheang Kry im Interview beschreibt, warum geschlechtsspezifische Gewalt in dem asiatischen Land so weit verbreitet ist und was ihre Organisation dagegen tut.
Gewalt gegen Frauen findet vor allem in den eigenen vier Wänden statt. Was weiß man über das Ausmaß häuslicher Gewalt in Kambodscha?
Eine Umfrage aus dem Jahr 2015 ergab, dass jede fünfte Frau im Laufe ihres Lebens sexuelle und körperliche Gewalt durch ihre Intimpartner erfährt, während eine von drei Frauen unter emotionaler Gewalt leidet. 33 Prozent der Männer gaben im Rahmen einer UN-Studie 2013 an, körperliche und sexuelle Gewalt gegen ihre Intimpartnerin begangen zu haben. 20 Prozent gestanden sogar ein, sie vergewaltigt zu haben.
Wie ist das möglich?
Dahinter verbergen sich verfestigte negative Geschlechternormen, die auch von den Betroffenen übernommen werden. Laut der Umfrage von 2015 hatte fast die Hälfte der Personen, die unter häuslicher Gewalt gelitten haben, niemandem von den Vorfällen erzählt. Sie glaubten, dass es Gründe für die Gewalt gegen sie gab. Das ist dann möglich, wenn diese Art der Gewalt aus der Ungleichheit der Geschlechter und dem Machtungleichgewicht erwächst. Die gesellschaftliche Wahrnehmung der Frauen als Personen in niedrigeren Positionen drückt sich folglich auch in diskriminierenden Handlungen sowie Gesetzen und Richtlinien gegen sie aus. Darum ist es für Betroffene so schwierig, Hilfe zu suchen und zu erhalten. Die meisten würden sich – wenn überhaupt - an die Familie, Freunde und Verwandte wenden, während weniger als 15 Prozent bei gewalttätigen Übergriffen örtliche Behörden oder die Polizei aufsuchen würden.
Geschlechtsspezifische Gewalt umfasst sowohl Gewalt gegen eine Person aufgrund ihres Geschlechts als auch Gewalt, die unverhältnismäßig häufig Personen eines bestimmten Geschlechts trifft. Geschlechtsspezifische Gewalt kann körperlicher, sexueller oder psychologischer Natur sein oder eine Kombination dieser Formen sein. Dazu zählt u.a. häusliche Gewalt, sexuelle Belästigung oder Phänomene wie Zwangsheirat. Geschlechtsspezifische Gewalt gibt es weltweit. Obwohl sowohl Männer als auch Frauen von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, handelt es sich bei der Mehrheit der Betroffenen um Frauen.
Welche Auswirkungen hat die aktuelle Pandemie in Bezug auf häusliche Gewalt?
Gegenwärtig gibt es in Kambodscha noch keine offiziellen Zahlen dazu, aber die Risikofaktoren haben deutlich zugenommen. In ländlichen Gegenden sind Frauen oft vom Einkommen ihrer Männer abhängig, von denen viele ihre Arbeit verloren haben. Hunderttausende Wanderarbeiter kehrten aus den Nachbarländern nach Kambodscha zurück und sind zu Hause mit einer Wirtschaftskrise konfrontiert. Nahrungsmittelknappheit, finanzielle Krise in der Familie, ungewisse Zukunft, Angst vor COVID-19: Das alles sind Risikofaktoren für Stress und Spannungen, die schließlich zu häuslicher Gewalt führen können.
Warum arbeitet und engagiert sich WPM in diesem speziellen Bereich?
Unsere Überzeugung ist, dass Frauen für positive Veränderungen von grundlegender Bedeutung sind und dass Gewalt gegen Frauen nicht nur ein Frauenthema ist. Es ist ein Thema das alle angeht. Unser Startpunkt zur Gründung von WPM war der gravierende Anstieg von Gewalt gegen Frauen, der 2003 erfasst wurde. Die Zeit der Roten Khmer und der Völkermord hatten die Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft regelrecht verwüstet. Dennoch nahmen Frauen kaum an öffentlichen sozialen Aktionen und der Friedensarbeit in Kambodscha teil, trotz ihres enormen Beitrags am Wiederaufbau des Landes. Wir glauben, dass die Beteiligung von Frauen bei jedem Schritt für positiven sozialen Wandel, der Friedenskonsolidierung, der Entscheidungsfindung, der Führung und der nachhaltigen Entwicklung absolut notwendig ist. Eine Umsetzung wird jedoch nicht möglich sein, wenn Frauen und Mädchen weiterhin in ihrer privaten Sphäre leiden und gefangen sind, während sie keine gleichen Ausgangsbedingungen und Zugang zur Entwicklung haben.
Was hat WPM bisher mit seiner Arbeit erreicht?
Tausende Menschen haben an unseren verschiedenen online- und offline-basierten Initiativen teilgenommen. Mehr als 70 Prozent von ihnen gaben eine direkte positive Veränderung ihres Wissens, ihrer Einstellung und ihres Verhaltens gegenüber Geschlechterstereotypen oder Frauenrechtsthemen an. Unsere Kampagnen und Aktionen haben in der Öffentlichkeit die Diskussion über diese Themen angeregt. Aktionen und Initiativen, die von Jugendgruppen, Männern und Frauen geleitet werden, inspirieren zur Veränderung der Gemeinschaft. Unsere Forschungs- und Advocacy-Arbeit zu Gender-Fragen hat die Ebene der politischen Entscheidungsfindung erreicht und einige wichtige Richtlinienpapiere beeinflusst, insbesondere zu den Fragen des Zugangs von Frauen zur lokalen Justiz. Während des Ausbruchs von COVID-19 stellten wir zusammen mit den Gemeinden und anderen Partnern in unseren Zielgemeinden sicher, dass von häuslicher Gewalt bedrohte Personen und Überlebende Informationen über und Zugang zu Corona-Präventivmaßnahmen, GBV-Hotlines, psychosozialer Unterstützung und präventiven Hygienemaßnahmen haben.
Jedes Jahr organisiert WPM zusammen mit anderen Gender-Organisationen und Partnern vom 25. November bis 10. Dezember die 16 Tage des Aktivismus zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen. Die Kampagne bietet die Gelegenheit, das Bewusstsein für und die Sorgen von Frauen zu schärfen, einschließlich derer, die aufgrund ihrer ethnischen Minderheit, einer Behinderung oder unterschiedlicher geschlechtsspezifischer Identitätshintergründe doppelt oder mehrfach marginalisiert sind. Während der Corona-Pandemie nutzt WPM digitale Plattformen und ein kleines Gemeinschaftsforum, um unter anderem den Online-Forschungsbericht "Erhaltung der Harmonie oder Verhinderung von Gerechtigkeit" vorzustellen. Die Studie beleuchtet lokale Streitschlichtungspraktiken in Fällen häuslicher Gewalt und Gewalt von Intimpartnern in Kambodscha. WPM beteiligt sich zudem an Gender-Camps mit lokalen Partnern, um junge Gender-Aktivistinnen und Aktivisten zu unterstützen.
Teil Eins unserer Interview-Reihe
Auch in Ecuador setzen wir uns zusammen mit unserer Partnerorganisation “Fundación de Mujeres de Sucumbíos” gegen geschlechtsspezifische Gewalt ein. In unserem Interview warnt Amparo Peñaherrera, eine der Mitarbeiterinnen der Organisation, vor den Auswirkungen der derzeitigen Corona-Pandemie, durch die sich die Situation für viele Frauen deutlich verschlimmert habe.
Teil Drei unserer Interview-Reihe
Auch in Uganda setzen wir uns zusammen mit unserer Partnerorganisation “ACORD" gegen geschlechtsspezifische Gewalt ein. In unserem Interview berichtet Atwiine Muhindi Catherine, Programmkoordinatorin der Organisation, über die besonders schwierige Situation für Geflüchtete, sowie über die Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Lockdowns.