Damla

// Damla arbeitet als Wohnbereichsleitung im Seniorenwohnsitz Quellenhof.
„Unsere Familie hat viel durchgemacht. Meine Mutter hat unter der Ehe meiner Eltern sehr gelitten. Sie hat meinen Vater geheiratet, als sie noch sehr jung war. Sie hatte nie das Privileg, zur Schule zu gehen – meine Mutter kann weder lesen noch schreiben. Als meine Eltern sich getrennt haben, war Papa auf einmal weg – und jemand musste für die Familie sorgen. Ich habe neben der Schule Aushilfsjobs gehabt, habe jeden Cent, der übrig blieb, gespart. Schon als ich jung war, wollte ich keine Almosen von anderen Menschen. Ich wollte es mir und meinen jüngeren Geschwistern beweisen – dass wir was schaffen, auch ohne Papa.
Als ich mit der Schule fertig war, wollte ich eigentlich in den BWL-Bereich, oder ins Rechnungswesen. Das war damals meine große Leidenschaft. Dass ich dann die Schule abbrechen musste, um Geld zu verdienen, war sicherlich eine der schwersten Entscheidungen in meinem Leben. Heute würde ich der Damla von damals gerne sagen, dass es nie zu spät ist. Dass man an sich selbst glauben soll und nicht so sehr darauf hören sollte, was andere Menschen sagen. Denn am Ende des Tages sind es nicht die anderen, die dich weiterbringen. Am Ende des Tages sind es immer die eigenen Entscheidungen, die zählen.
Ich musste meine Träume lange Zeit hinten anstellen. Als ich als ausbildungssuchend beim Arbeitsamt gemeldet war, musste ich jeden Vorschlag annehmen. Eine Kürzung konnten wir uns finanziell nicht leisten. Zwar hat das ein bisschen Geld gebracht – aber ich war trotzdem verzweifelt. Ich wollte ja weiterkommen und nicht ewig irgendwelche Hilfsjobs annehmen. Ich habe mir regelrecht den Kopf zermartert. Während andere Anfang 20 eher auf Partys gingen, konnte ich nur an eines denken: ‚Zeig, was du kannst, Damla, immer weiter machen, gib nicht auf.‘ Ich habe viel durchgemacht, ja – aber dadurch bin ich stark geworden.“

„Meine große Schwester war der Grund, warum ich damals in die Pflege ging. Unsere älteste Schwester ist körperlich und geistig behindert. Durch diese Art von Schicksal wird einem bewusst, dass es viele Menschen gibt, die Hilfe brauchen. Meine große Schwester hat mir sozusagen den Weg geebnet. Heute bin ich sehr glücklich darüber, dass sie mir diesen Schubs gegeben hat.
Angefangen habe ich mit einem unbezahlten Praktikum. Ich hatte ja überhaupt keine Erfahrung in der Pflege. Schließlich habe ich damals eine Ausbildung im Einzelhandel gemacht. Ich weiß noch, wie der Qualitätsbeauftragte der Einrichtung damals auf mich zukam. Er sagte: ‚Fangen Sie in der Pflege an – sie machen das wirklich super.‘ Seitdem war die Position als Wohnbereichsleitung, die ich heute habe, mein Traum. Aber es war ein langer Weg bis dahin.
Lange Zeit habe ich als Helferin gearbeitet – als einzige Brötchenverdienerin in meiner Familie konnte ich mit der Ausbildung nicht beginnen. Die Jahre vergingen und dann kamen noch andere Dinge dazwischen: 2016 habe ich geheiratet, 2018 ist mein Sohn zur Welt gekommen. Als ich Mutter geworden bin, bin ich noch stärker geworden. Nichts in der Welt konnte mich von meinem Traum noch abbringen. Mein Mann und mein Sohn haben mir sehr viel Kraft gegeben. Als mein Sohn ein Jahr alt war, habe ich endlich meine Ausbildung begonnen. Ich konnte es gar nicht erwarten, so glücklich war ich. Dann kam die Pandemie. Da habe ich dann, anstatt an den verschiedenen Berufspraktika teilzunehmen, meine Kolleginnen und Kollegen auf den Wohnbereichen unterstützt. Die Zeit war aufs Neue sehr herausfordernd: Die Pandemie, Lernen für die Ausbildung und natürlich das Familienleben. Doch ich konnte mich immer auf meinen Mann verlassen.
Ich habe meine Ausbildung zur Fachkraft erfolgreich abgeschlossen. Dieses Jahr im März habe ich einen Wohnbereich übernommen – mein Traum ist in Erfüllung gegangen!“

„Ich möchte nicht, dass mein Kind das Gleiche durchmacht wie ich. Ich möchte meinem Sohn etwas bieten. Natürlich soll er auch auf eigenen Füßen stehen, aber er soll nicht so viel kämpfen müssen wie ich. Ich habe mich vom Helfer zur Fachkraft und schließlich zur Wohnbereichsleitung hochgearbeitet – und irgendwann möchte ich noch meinen Pflegedienstleitung-Schein dazu machen. Mein Leben lang bin ich von dem Gedanken getragen worden, dass ich weiterkommen möchte. Meine größte Angst ist es, an einem Punkt stehenzubleiben.
Ich finde, man muss im Leben schon wissen, wo man hin möchte. Für mich ist die Familie das allerwichtigste. Freunde kommen und gehen – aber Familie ist für mich da, wo das Leben anfängt und die Liebe niemals endet.
Ich kann sehr zielstrebig sein, aber wenn ich mit meinem Mann und meinem Sohn Ausflüge mache, dann bin ich ein anderer Mensch. Im Dezember waren wir am Mittelmeer in der Heimatstadt meines Mannes. Da habe ich mich wieder daran erinnert, wie sehr ich Geschichte liebe. Wir haben die Grabstätten von Mercia besucht – da ist es mir ähnlich ergangen, wie wenn ich über die Biografien meiner Bewohnerinnen und Bewohnern reflektiere: Wenn ich deren Lebensgeschichten höre, was sie in ihrem Leben durchgemacht und gemeistert haben, dann kommen mir meine Herausforderungen ganz nichtig vor. So nichtig wie eine kleine Fliege.“