Vivien
// Vivien arbeitet als Auszubildende im Johanniterhaus Pfarrer Franz Gardelegen.

„Opa ist vor seinem Tod nochmal so richtig aufgeblüht. Das machen die meisten Menschen, kurz bevor sie sterben. Nur wusste ich das nicht. Ich bin mit meinem Opa und seiner Krankheit großgeworden. Er hat immer dagegen angekämpft, war trotz seiner Schmerzen immer für alle da. Für ihn war das Wichtigste, dass die Familie zusammenhält. Egal, was vorgefallen war. Er sagte: ‚Ihr setzt euch jetzt an einen Tisch und redet darüber‘ – und das wurde dann auch gemacht. Mein Opa war ein sehr lebhafter Mensch. Aber dann wurde sein Gesundheitszustand immer schlechter. Es tut sehr weh zu sehen, wie ein Mensch, den man liebt, immer weniger isst. Auch die Auswirkungen der Chemotherapie haben ihn sehr geschwächt.
Ich habe von ihm sehr viel beigebracht bekommen. Ich bin ein ziemlich direkter Mensch. Mein Opa war es, der mir vermittelt hat: Das geht nicht bei jedem. Es gibt Menschen, die können damit nicht umgehen. Seine Sprüche waren nämlich nicht ohne – und wie er selbst teilweise gekontert hat. Er war schon so eine richtige Kollerschnauze. Er wusste also, von was er spricht!
Zwei Wochen vor seinem Tod sind seine Frau und er noch zu uns gezogen. Die Wohnung musste so schnell es ging fertig werden. Ich dachte die ganze Zeit: ‚Warum die Hektik?‘ Aber dann, als er verstorben ist, hat es bei mir Klick gemacht – er wollte, dass seine Frau ein fertiges Zuhause hat, bevor er geht.“

„Manchmal gibt es nichts mehr, was man schönreden kann – oder tun kann. Ich gelange an meine Grenzen, wenn ich weiß, dass ich nun alles getan habe, was in meinen Möglichkeiten steht, aber es der Person immer noch nicht besser geht. Hilflosigkeit von älteren Menschen auszuhalten – das ist es, was mich ziemlich trifft. Wenn ich von der Arbeit nach Hause gehe, frage ich mich manchmal: ‚Hätte ich nicht noch etwas mehr machen können? Hätte ich etwas verhindern können?‘ Aber ich habe auch gelernt, dass man nicht immer alles perfekt machen kann.
Trotzdem ist es mein Ziel, so vielen Menschen wie möglich zu helfen. Meine Eltern haben sich mit einem ambulanten Pflegedienst selbstständig gemacht. Den möchte ich später vielleicht einmal übernehmen. Die Telefone klingeln dort ständig. Dadurch habe auch ich mitbekommen, wie viele Menschen zuhause eigentlich keine Hilfe kriegen. Es ist schwer, Anfragen abzulehnen – aber manchmal hat man keine Kapazitäten mehr. Deswegen will ich es in der Zukunft irgendwie schaffen, mehr Menschen zu helfen.
Die Bewohnerinnen und Bewohner im Johanniterhaus geben mir viele Weisheiten mit auf meinen Weg – und man kann auch schlecht etwas vor ihnen verstecken. Einmal zum Beispiel, wollte ich mir meine Gefühle auf der Arbeit nicht anmerken lassen. Ich bin in die Toilette und habe mein Gesicht unters kalte Wasser gehalten. Ich dachte mir: Das geht schon! Kaum bin ich zu einer Bewohnerin ins Zimmer herein, fragte sie mich: ‚Was liegt dir auf dem Herzen? Ich sehe doch, dass etwas ist.‘ Viele alte Menschen sagen, dass man sich nicht verstellen und nichts runterschlucken soll. Und dass Dinge – immer und ausnahmslos – aus einem bestimmten Grund passieren. Auch das nehme ich mir zu Herzen.“

„Mir fehlt das Voltigieren – und der damit verbundene Nervenkitzel. Und auch das wortlose Zusammenspiel: Man braucht sich nur anzuschauen und weiß genau, was zu tun ist. Wenn ich sehe, wie meine Punktzahl nach oben klettert, gibt mir das einen unglaublichen Kick. Aber auch den Teamgeist vermisse ich – wenn einer stürzt sind alle da, und dann wird auch nicht mehr weitergemacht.
Durch die ganzen Stürze und Aufprälle habe ich mir mein Knie jedoch ziemlich kaputt gemacht. Jetzt ist keine Zeit zum Voltigieren. Jetzt heißt es: Ich muss erst mal mein Knie wieder in Ordnung bringen. Krankheiten haben mir schon öfters einen Strich durch die Rechnung gemacht, zum Beispiel während meiner Zeit als Auszubildende. Die Ausbildung mache ich nämlich gerade zum zweiten Mal. Während meiner ersten Ausbildungszeit bin ich an Corona erkrankt, danach wurde bei mir Wasser im Herzbeutel diagnostiziert. Ich durfte also sehr lange nicht arbeiten. So gesehen waren diese Krankheiten für mich große Hürden. Aber auch wenn es beim ersten Mal nicht geklappt hat – ich habe mir alles wieder von vorn aufgebaut.“