Carmen

// Carmen arbeitet als Betreuungskraft im Johanniterhaus "Am Mariannenpark" Leipzig.
„In Guatemala und Mexiko gehören Piñatas zu jeder Feier dazu – ob Geburtstage, Kommunionen oder Hochzeiten – man findet sie einfach überall. Bunt und fantasievoll säumen sie ganze Straßenzüge und verleihen jeder Party einen Funken Freude. Als ich nach Deutschland kam, vermisste ich diese Tradition sehr – besonders für meine Mädchen. So kam mir die Idee: Warum nicht selbst Piñatas für ihre Geburtstage basteln?
Die Piñatas waren ein Highlight für die kleinen Kinder hier in Deutschland – die kannten das nicht. Und so haben wir dann für jeden Geburtstag Piñatas gebastelt. Schließlich fragte mich eine Freundin, ob ich auch eine für ihr Kind machen könnte – und irgendwann erhielt ich so viele Bestellungen, dass ich beschloss, mehr daraus zu machen. Ich begann, meine Piñatas zu verkaufen und stellte sie auf Instagram online. Jetzt fertige ich sie nur auf Bestellung und personalisiere sie sogar mit Fotos.
So kam mir auch die Idee, für unseren Kindertag Piñatas zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zu basteln – sie könnten ja das Krepppapier und das Zeitungspapier schneiden. Die Bewohnerinnen und Bewohner waren sofort Feuer und Flamme. Sie waren so begeistert, dass sie mit ihren Gehstöcken ganz eifrig auf die Piñata einschlugen und mitspielten. Jetzt machen wir das jedes Jahr am Kindertag. Mittlerweile sind wir aber schon Profis und alle – alt wie jung – freuen sich auf diese gemeinsame Piñata-Runde.“

„An den Winter kann ich mich einfach nicht gewöhnen. Als wir in Deutschland ankamen, war es März. Es war bitterkalt. Und es gab so viel Schnee! Mein Leben in Guatemala hinter mir zu lassen, fiel mir nicht leicht. In der ersten Woche wollte ich zurück. Trotz der Schwierigkeiten war es auch ein Abenteuer. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich die Freiheit hier in Deutschland genossen habe – ohne Angst, frei auf der Straße rumzulaufen, die Parks, Wiesen und Seen! In Guatemala hingegen ist die Angst, ausgeraubt zu werden, dein ständiger Begleiter.
Als ich neu in Deutschland war, musste ich einiges lernen – die Pünktlichkeit zum Beispiel. Wir Latinos sind mehr spontan. Und wenn wir einen Plan machen, kann es sein, dass wir den in der nächsten Minute wieder ändern. Das ist in Deutschland anders.
Ein bisschen fehlt mir die Wärme der Menschen von Guatemala. Wenn du dort in einen Laden oder in ein Restaurant gehst, wirst du sehr warm und sehr herzlich empfangen. Und natürlich fehlt mir auch meine Familie. Deshalb bin ich so froh über meine Bewohnerinnen und Bewohner – denn die sind jetzt meine Opas und Omas.
Nach meiner Scheidung 2014 bin ich zurück nach Guatemala gegangen. Meine Töchter und ich haben es für ein Jahr dort versucht – und es war für uns alle ein Schock. Also sind wir nach Deutschland zurück. Manchmal habe ich das Gefühl, mich zwischen zwei Welten zu befinden – weder ganz hier noch ganz dort. In meiner Heimat fühle ich mich fremd, weil die Mentalität so anders ist, sehr katholisch und streng. Und hier in Deutschland – nun ja, ich bin halt keine Deutsche, sondern eine Ausländerin. Aber vielleicht gehöre ich einfach in beide Welten.“

„Die Lebensgeschichten unserer Bewohnerinnen und Bewohner faszinieren mich. Eine unserer Bewohnerinnen ist 100 Jahre alt! Was kann die für schöne Geschichten erzählen! So erinnere ich mich an meine eigene Oma – auch ihre Lebensgeschichte war faszinierend. Sie war liebenswürdig. Und gleichzeitig eine so starke Frau. Sie brachte 11 Kinder in Spanien zur Welt. Mein Opa war Spanier, der nach Guatemala ging, um Brücken zu bauen. Dort lernte er meine Oma kennen und brachte sie nach Spanien. Es war eine schwere Zeit – nach dem Krieg und während der Franco-Diktatur. Mein Opa musste oft reisen, und meine Oma war mit den Kindern allein.
Nach Jahren an Schwierigkeiten beschloss meine Oma, dass es genug war. Sie konnte nicht mehr bei ihm bleiben. Mein Opa war ein harter Mann. Also nahm sie ihre Kinder und kehrte nach Guatemala zurück. Meine Mutter war damals erst neun Jahre alt. Als ich nach Deutschland kam, sagte Oma zu mir: ‚Du erinnerst mich an mich.‘ Das hat mich sehr berührt.
Sie war so stolz und überzeugt davon, dass wir Frauen alles schaffen können. Ihre Stärke und ihr Mut begleiten mich bis heute und erinnern mich daran, dass ich alles erreichen kann. In Guatemala müssen wir Frauen alles machen – arbeiten, uns um die Kinder kümmern und das Haus sauber halten. Mein Vater kann sich nicht mal selbst ein Ei kochen.
Obwohl diese Mentalität normal war, war ich immer dagegen. In Deutschland können wir Frauen stärker sein – und das hat mir auch für meine Mädels die Kraft gegeben. Das Leben und diese Möglichkeiten – dass sie sich hier in Deutschland frei bewegen und entfalten können.“