Medine

Medine arbeitet als Pflegekraft im Hospiz Simon-Lilge-Stift in Bremen.

Ich erinnere mich noch genau an diesen Duft, der aus der Küche kam …

„Kochen ist für mich wie Yoga. In der Küche kann ich so richtig abschalten und bei mir ankommen. Manchmal koche ich Gerichte nach altem Familienrezept. Wie die türkische Moussaka, die meine Großmutter früher immer gemacht hat. Man brät die Auberginen in Öl an, und während sie frittiert werden, macht man die Hackfleischsoße mit angebratenem Knoblauch, Zwiebeln und passierten Tomaten. Mein Trick: Um die Säure der Tomatensoße auszugleichen, gebe ich einen Schuss Agavendicksaft hinzu. Das Ganze wird dann mit den Auberginen in einer Form aufgeschichtet und köchelt noch etwas auf dem Herd, zum Schluss kommt oben drauf etwas Petersilie.

Der Geruch, der mir dann in die Nase steigt, erinnert mich an meine Großmutter. Meine Familie kommt aus der Türkei, Oma verbrachte immer ein halbes Jahr dort und ein halbes Jahr bei uns in Deutschland. Als ich klein war, ging ich nach der Schule zum Essen immer zu ihr. Ich erinnere mich noch genau an diesen Duft, der aus der Küche kam und an ihre weichen Wangen, wenn sie mir einen Kuss gab. Sie stellte mir das Essen hin: ‚Iss, meine kleine Tochter!‘ und fing selbst an zu beten. ‚Allahu akbar, Allahu akbar‘ ertönte es dann im Hintergrund, während ich mein Mittagessen verputzte. Meine kleine Oma, sie hatte ganz schön Haare auf den Zähnen! Und immer Bonbons für ihre Enkel in der Tasche.

Für mich war Oma immer eine Verbindung zu meinen Wurzeln. Leider ist sie vergangenes Jahr gestorben. Seitdem fühle ich manchmal so eine Kälte. Es ist, als würden die Wurzeln absterben. Letzten Sommer wollte ich sie noch in der Türkei besuchen, doch ich habe es leider nicht geschafft, hinzufahren. Im November dann ist sie gestorben, ohne dass wir uns nochmal wiedergesehen haben. Das ist sehr traurig. Doch ich glaube fest daran, dass Oma auf der anderen Seite auf mich wartet. Nach ihrem Tod hat sie mir sogar ein kleines Zeichen geschickt, an das ich mich immer erinnern werde.“

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Für mich haben alle Religionen im Grunde die gleichen Werte. Es geht darum, andere Menschen zu lieben, wie sich selbst …

„Jeder Mensch ist sterblich. Doch eines Tages treffen wir alle uns irgendwo wieder. Daran glaube ich fest. Ich selbst bin Muslima und praktiziere meine Religion auch. Ich bete und wenn ich Zeit habe, gehe ich in die Moschee. Der Islam ist für mich keine grausame Religion, er wird leider manchmal falsch ausgelegt. Zum Beispiel ist es ja eigentlich so, dass laut Islam niemand dazu gezwungen werden darf, ein Kopftuch zu tragen. Es muss eine bewusste Entscheidung sein, die von Innen kommt. Ich selbst trage kein Kopftuch, weil ich mich dazu nicht bereit fühle.

Für mich haben alle Religionen im Grunde die gleichen Werte. Es geht darum, andere Menschen zu lieben, wie sich selbst. Es geht um Frieden, Wertschätzung und darum, dass wir alle menschlich sind und Fehler machen. Nobody’s perfect!

Empathisch sein und mit anderen mitfühlen, das sind Fähigkeiten, die gerade in meinem Beruf unentbehrlich sind. Im Hospiz soll jeder Mensch sein dürfen, wie er ist. Jeder Mensch hat das Recht, in Würde zu sterben. Unsere Aufgabe ist es, das zu ermöglichen. Indem wir den Gästen liebevoll begegnen, indem wir Schmerzen lindern und auch die Angehörigen mitnehmen.

Ich selbst bin ja noch jung, doch durch meine Arbeit habe ich vieles gelernt. Zum Beispiel, dass Menschen sehr unterschiedlich sind, wenn es darum geht, zu trauern. Jeder geht mit Verlust anders um, die einen weinen viel, andere stürzen sich in Arbeit. Den einen, richtigen Weg gibt es da nicht, glaube ich. Es geht darum, was für den Menschen funktioniert.

Und natürlich bin ich mir durch meine Arbeit sehr bewusst darüber, dass das Leben endlich ist. Unsere Gesellschaft verdrängt das ja gern. Doch es kann ja jederzeit ein Schicksalsschlag kommen! Wir müssen uns mit dem Thema befassen. Auch, um das Leben wirklich zu genießen und im Moment zu sein.“

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Ich versuche im Hier und Jetzt zu leben …

„Unsere Zeit auf der Erde ist kurz und wir sollten sie genießen! Das ist meine Devise. Diese Erkenntnis macht demütig. Doch sie ist auch der Grund, warum ich ein sehr spontaner Mensch bin. Ich versuche im Hier und Jetzt zu leben und jede Gelegenheit, die sich mir bietet, zu ergreifen. Wenn ich von der Frühschicht nach Hause komme und mich eine Freundin anruft und zum Essen einlädt, sage ich ja. Denn ich weiß ja nicht, was morgen ist. Lieber, man macht es jetzt, als dass man es später bereut!

Von meiner Arbeit im Hospiz weiß ich, dass viele Menschen am Ende ihres Lebens mit Dingen hadern, die sie bereuen. Dann fällt es ihnen besonders schwer, loszulassen. Ich erinnere mich an eine Dame, die mit ihrem Bruder im Streit auseinandergegangen war. ‚Ich muss mich bei meinem Bruder entschuldigen‘, sagte sie, und man konnte sehen, dass sie sehr darunter litt. Ich habe dann die Pastorin gebeten, mit ihr zu sprechen und ihr beizustehen.

Manchmal steht man im Leben vor großen oder kleinen Entscheidungen. Mir ist das vor kurzem auch passiert. Es war, nachdem meine Großmutter in der Türkei gestorben war. Bei uns gibt es einen Brauch: Wenn jemand stirbt, verteilt die Familie der Verstorbenen Essen – wie eine Opfergabe. Nach Omas Tod überlegte ich, ob auch ich etwas Geld in die Türkei schicken sollte, damit meine Familie diesem Brauch nachkommen kann. Kurz war ich mir nicht sicher, doch dann entschloss ich mich, es doch zu tun. Was dann geschah, werde ich nie vergessen. Auf dem Weg zur Bank entdeckte ich auf einem Stein ein türkisches Gebetsarmband! Meine Oma hat unzählige solcher Armbänder besessen, sie waren im ganzen Haus verteilt. Ich bin mir sicher, dass es ein Zeichen von ihr war. ‚Medine, du machst das Richtige! Ich danke dir sehr!‘ Das ist es wohl, was sie mir sagen wollte.“

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