Tsega
// Tsega arbeitet als Altenpflegehelferin im Johanniter-Haus Waibstadt.
„Wer immer nur das tut, was er kann, bleibt immer, wer er ist. Wenn man im Leben vorankommen will, muss man die Dinge in die Hand nehmen – ohne Lernen geht es nicht. Als ich nach Deutschland gekommen bin, war mir sofort klar: Deutsch lernen ist die erste Hürde und die muss ich so schnell wie möglich nehmen. Es war schon sehr lange her, dass ich die Schule besucht hatte. Ich hatte wenig Geduld mit mir und überhaupt keine Lust, nur am Schreibtisch zu sitzen. Aber ich habe mich einfach durchgekämpft. Später habe ich verstanden, dass der Deutschkurs zwar wichtig war – aber viel wichtiger für meine Sprachkenntnisse ist der Kontakt mit den Menschen.
Während meiner Anfangszeit im Flüchtlingsheim war mir oft langweilig. Dass ich zur Altenpflege gekommen bin, ist einem ganz besonderen Mann im Flüchtlingsheim zu verdanken. Er hat den Vorschlag gemacht, dass wir älteren Leuten beim Essen und beim Spazierengehen helfen könnten. Ich habe gedacht: Warum eigentlich nicht? Die älteren Leute haben uns gleich ins Herz geschlossen und ich wusste sofort: Ich will eine Ausbildung machen. Nach meinem Deutschkurs wollte ich damit so schnell wie möglich anfangen. An meiner Arbeit macht mir alles Spaß. Am meisten liebe ich es, wenn ich Bewohnerinnen und Bewohner zum Lachen bringen kann – oder wenn wir gemeinsam Geburtstag feiern.
Nach dem Deutschkurs und der Ausbildung kam die nächste Herausforderung: Für meine Führerscheinprüfung musste ich noch einmal die Schulbank drücken. Nach der Arbeit zu lernen war schwer. Ich war oft sehr müde. Kaum hatte ich etwas gelernt, hatte ich es schon wieder vergessen. Dann musste ich wieder von vorne anfangen. Hier habe ich gelernt, Geduld mit mir zu haben. Ich habe mir immer wieder gesagt: Ich muss das einfach schaffen. Am Ende habe ich einen Monat lang durchgelernt – und habe dann die Prüfung auf Anhieb bestanden.“
„Mit den Gedanken an meine Heimat Eritrea kommt auch die Traurigkeit. Am meisten vermisse ich meine Familie und meine Bekannten. Ich weiß, wie die Menschen dort leben müssen. Manchmal kann ich gar nicht fassen, was für ein Glück ich heute habe. Was mein Heimatland angeht, beschäftigen mich viele Fragen: Wie kann ich helfen oder was kann ich tun, um die Situation in meiner Heimat zu verbessern? Was kann man machen, damit auch die Menschen dort in Freiheit leben können?
Ich bin in einem kleinen Ort auf dem Land aufgewachsen. Meine Familie ist damals, als ich noch ganz klein war, vor dem Krieg aufs Land geflüchtet, um Sicherheit zu suchen. Leben ist sehr schwierig in meinem Heimatland. Da gibt es keine Freiheit, kaum Arbeit – eigentlich gibt es gar nichts. Ich bin schon sehr früh in die Armee eingetreten – nur so war es mir erlaubt, später in angrenzende Nachbarländer zu reisen, um von dort zu arbeiten. Dafür musste ich mich auch von meinem Sohn trennen. Das war sehr schwer für mich. Ich war im Libanon und im Sudan. Mein Leben bestand damals aus Arbeiten und im Anschluss sofort nach Hause gehen. Aber immerhin habe ich Geld verdient und konnte meiner Familie helfen.
Auf die Flucht konnten wir nichts mitnehmen. Das war aber auch nicht wichtig. Ich wollte gemeinsam mit meinem Sohn ein besseres Leben haben – deswegen habe ich letztendlich auch den Entschluss zur Flucht gefasst. Was mir Kraft gegeben hat, war der Gedanke, dass ich meiner übrig gebliebenen Familie helfen muss. Ich habe oft gedacht: Ich muss einfach weitermachen. Nicht wegen mir – sondern wegen denen, die mich brauchen.“
„Ich habe Sehnsucht nach einem Ort, an dem ich noch nie gewesen bin. Paris – die Stadt der Liebe – hat seit meiner Kindheit einen Platz in meinem Herzen. Einmal in meinem Leben muss ich einfach nach Paris! Wie es dazu kam? Das ist eine lange Geschichte. Ich bin in einem Kinderheim aufgewachsen. Das ist in Eritrea während des Krieges normal gewesen. Während meiner Zeit dort haben wir Brieffreundschaften mit anderen Kindern aus der ganzen Welt aufgebaut. Wir haben uns kleine Briefchen geschickt, auch Fotos waren manchmal dabei. Wenn ich daran zurückdenke, bekomme ich immer noch Gänsehaut.
Auf den Bildern, die mir mein Brieffreund aus Frankreich schickte, habe ich das erste Mal die Straßen von Paris gesehen. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich damals gedacht habe: Einmal in meinem Leben muss ich diese Stadt sehen. Seitdem lässt mich der Gedanke nicht mehr los. Ich denke seit meiner Kindheit daran, einmal auf diesen Straßen zu gehen.
Ich denke zwar immer daran, aber das Problem ist: Mit wem würde ich gehen? Ich war schon ein paar Mal bei meiner Bekannten in Schweden, ich war auch in der Schweiz. Aber allein nach Paris – das habe ich mich bis jetzt noch nicht getraut. Manchmal denke ich an meinen Brieffreund – und daran, wie sein Leben wohl verlaufen ist. Würden wir uns auf der Straße wiedererkennen?“