Nach-gedacht: Worte zum Advent 2023
Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi war überzeugt, dass in der Bereitschaft, warten zu können, alles ein gutes Ende nehmen wird. Der, der warten kann, ist bereit, ruhig und bewusst mit der Zeit umzugehen. Es hat eben alles eine Zeit und braucht auch seine Zeit. Gerade in unserem Arbeitsfeld als Johanniter ist es besonders wichtig, Menschen zu ermutigen, warten zu können, Geduld zu bewahren. Jedoch wissen wir auch: leichter gesagt als getan.
Warten zu können ist für unser Leben eine kreative und vielleicht die aktivste Grundhaltung, die aber in unserer Zeit aus der Mode zu kommen scheint. Es gibt zwar Situationen, da muss zügig gehandelt werden; da ist wenig Spielraum, abwartend zu handeln. Bei einer Erkrankung heißt es, zügig zu reagieren, damit die Genesung nicht gefährdet wird. Aber manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass wir uns in der Hektik des Alltags ganz gut eingerichtet haben; dass wir uns in der inszenierten Unruhe sogar gefallen. Da bleibt dann wenig Zeit, um über das eine oder andere grundsätzlicher nachzudenken. Am Ende macht uns der Umgang mit der Zeit atemlos und die Resonanz zum Leben kommt abhanden.
In der Atmosphäre der Ruhe und des Wartens kann das Vertrauen wachsen, dass sich auch in schwierigen Situationen Wege auftun, die dann beherzt beschritten werden können. Ich denke an die Begegnung mit einem Patienten, der sich darum sorgte, dass mein Terminkalender durcheinandergeriete, wenn ich mich seinem Schritttempo anpassen würde. Und ich erwiderte, dass es guttäte, wenn ich mein Tempo dem seinigen anpassen würde, wir uns also letztlich in Geduld üben würden. Nur so sind wir als Johanniter in den Einrichtungen glaubhaft, wenn wir Patientinnen und Patienten, Bewohnerinnen und Bewohne ermutigen, die Geduld, das Vertrauen nicht zu verlieren. Übrigens: wir brauchen keine Angst zu haben, dass die Arbeit uns davonläuft: sie ist ausgesprochen treu.
Die Adventszeit ist eine Zeit, die von der Bereitschaft lebt, warten zu können. Und in dieser Haltung dann seine Vorbereitungen angemessen zu treffen. Dabei zielen unsere Vorbereitungen zuerst darauf, sich auf den einzulassen, der bereits alle Vorbereitungen für das große Fest des Lebens abgeschlossen hat und sich auf den Weg zu uns macht: Gott in Jesus, der Mensch werden will. Es ist jetzt die Zeit der glaubenden Erwartung. Wenn wir unsere Blicke auf den ausrichten, der sich auf den Weg macht, dann werden wir aus- und aufgerichtet, dürfen wir uns stärken lassen mit der Gewissheit, dass alles ein gutes Ende nehmen wird; wir zur wahren Lebensfreude befreit werden. Oder, um es mit Lukas auszusprechen: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht (Lukas 21,28).“
Erlösung: wir werden herausgelöst aus unseren Ängsten, gerade in dieser Zeit der Ungewissheiten, die uns gefangen nehmen. Als Glaubender blicke ich auf den, der kommen will und mir die Gewissheit schenken will, dass meine Zeit eine erfüllte Zeit sein wird. Und Nietzsche wusste darum: „Die größten Ereignisse sind nicht die lautesten, sondern unsere stillen Stunden.“ Stunden der Ruhe, Geduld und des Wartens. Uns allen wünsche ich eine gesegnete und eine besinnliche Adventszeit.
Bernd Kollmetz
Seelsorger in den Johanniter-Ordenshäusern, Bad Oeynhausen und
Fördermitglied der Schwesternschaft