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18.03.2025 | Johanniter-Schwesternschaft e.V.

Nach-gedacht: Wort zur Passionszeit 2025 Der mit-leidende Gott

Liebe Johanniterinnen und Johanniter!

„Der Mensch ist das einzige Wesen, dass sich seiner eigenen Verletzlichkeit bewusst ist.“ Dieser Satz von Albert Schweitzer führt uns auf den Grund unserer Existenz. In der Erfahrung, dass wir verletzlich sind, werden wir in die äußerste Krise des Lebens geführt. Und gerade wir als Johanniter haben ein besonderes Gespür für diese Wahrheit. Dieses Gespür ist notwendig, um den Menschen in dieser besonderen Situation zu verstehen und ihm darin nahe zu sein. Unser Arbeitsplatz bringt jeden einzelnen von uns in Berührung mit dieser Lebenswirklichkeit. Und es ist entscheidend, ob uns diese Begegnung „anrührt“ in unserer Haltung als auch Handlung.

Vor kurzem las ich einen Gedanken, der mir die wirkliche Herausforderung unseres Lebens vor Augen geführt hat. Wir können nur in Gemeinschaften existieren. Und gerade diese Voraussetzung macht uns verletzlich. Wir verfügen nicht über die Bereitschaft des anderen, mit uns menschlich so umzugehen, wie wir es uns wünschen. Im Großen wie im Kleinen werden wir dieser Tatsache ansichtig. Rührt uns im Alltag die Angst, die Sorge des Menschen um sein Leben, um seine Zukunft wirklich an, wenn wir ihm begegnen?Sind wir bereit, in jedem Menschen, der uns tagtäglich begegnet den Nächsten, die Nächste zu sehen, der bzw. die Gottes Antlitz trägt und durch ihn uns anvertraut wird? So haben wir alle, in unterschiedlichsten Situationen, diese „Verletzlichkeit“ erfahren, sei es in Enttäuschungen, Niederlagen, Krankheit oder Trauer. Unsere Gefühle sind verletzt, gerade durch die Begegnung mit dem andren, mit dem Leben.

Und auch wir, als Christinnen und Christen müssen dann mit der Fragwürdigkeit unserer Existenz im Angesichts der Glaubenswirklichkeit zurechtkommen. Warum hat Gott das zugelassen? Gott, wo bist DU mit Deiner Liebe, die du mir bei der Taufe versprochen hast als dein Geschenk für mein Leben. Mit diesen Fragen kommt unser Glaube in die Untiefen der Sinnlosigkeit. Wie oft haben Patientinnen und Patienten mir ihre Ängste anvertraut, dass all ihre Hoffnungen auf ein sinnvolles Leben am Fels dieser Verzweiflung zu zerschellen drohte.

Vor uns liegt die Passionszeit. Die Ereignisse, die zur Sprache kommen werden, finden sich gerade im Horizont unserer Verletzlichkeit wieder. Denn wir denken in dieser Zeit besonders an den Gott, der in seinem Sohn Jesus den Weg des Leidens und Sterbens geht. Die bohrende Frage, warum das Leid in dieser Welt, das sinnlose Sterben im Krieg geschieht; warum unser aller Leben in der Gefährdung der Verletzlichkeit durch Krankheit und Tod gelebt wird: wir werden aus uns selbst heraus diese Fragen nicht beantworten können. Das ist vielleicht die schmerzhafteste Verletzung, die wir auszuhalten haben. Warum Gott selbst leidet entzieht sich unserem Verstehen.

Aber, und an diesem Wort aber macht sich unser Glaube fest: im Leiden Jesu zeigt sich, dass Gott nicht unberührt bleibt. Diese Verletzung wird zu seiner eigenen Erfahrung, als Jesus die Worte am Kreuz spricht: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ Diese menschliche Angst, es könnte einen Raum der absoluten Verlassenheit geben, wo selbst Gott nicht anzutreffen ist, verbindet er mit seinem Leben und seinem Sterben, aus Liebe zu uns. Und gerade diese Angst, absolut verlassen zu sein, wollen wir, so gut es geht, doch unseren „Herren Kranken“ nehmen. Aus Liebe zum Leben wollen wir sie gerade in dieser Verletzung nicht allein lassen, sondern ihnen beistehen, nahe sein und trösten. 

Liebe Johanniterinnen und Johanniter, von Sören Kierkegaard stammt der Gedanke: „Nur wer die Menschen liebt, sieht sie auch.“ In der Passionszeit wollen wir uns an den Gott erinnern, der uns in Jesus Christus ansieht, mit all seiner Liebe, die sich darin zeigt, dass er sich selbst verletzbar gemacht hat und darin ein von uns war, ist und bleiben wird. Und wollen wir nicht vergessen, dass auch wir in unserem Tun um unsere eigene Verletzbarkeit nur zu gut wissen und uns aus Liebe zum Leben darin gegenseitig beistehen wollen.

Ich wünsche uns allen eine gesegnete Passionszeit.

Bernd Kollmetz, Seelsorger in den Johanniter-Ordenshäusern Bad Oeynhausen