Meine Magersucht nahm vor 1 ½ Jahren ihren Lauf. Damals wog ich mit einer Größe von 1,64 m 55 kg, was einem BMI von ca. 20,5 entspricht und somit auch noch zum Normalgewicht gehört.
Ich fand mich eigentlich noch relativ annehmbar, obwohl mir schon da mein Bauch missfiel. Trotzdem kam dann doch irgendwann der Zeitpunkt, an dem ich mich für eine Diät entschied. Ausschlaggebend war wohl auch mein zu diesem Zeitpunkt unglückliches „Verliebtsein“ und der Hinweis meiner Mutter darauf, dass die Hosen nicht mehr passte, da ich wohl in der letzten Zeit zugenommen hatte. Dies war mir aber gar nicht so bewusst gewesen und sie legte mir nahe, auf mein Gewicht zu achten. Gleichzeitig lehnte sie eine Diät aber auch nicht ab.
Das Desinteresse des Jungen, in den ich verliebt war, bezog ich dann sofort auf meinen Körper. Mein Aussehen konnte ich nicht all zu schwer verändern, aber am Gewicht ließ sich was drehen. Deshalb vermied ich ab da kalorienreiche Nahrungsmittel und aß auch insgesamt weniger. Mein Zielgewicht war 45 kg. Doch je näher ich dieser Kilozahl rückte, desto unzufriedener wurden meine Eltern. Mit Hilfe einer Kalorientabelle überprüfte ich alles doppelt und dreifach und schon Stunden vor der nächsten Mahlzeit überlegte ich mir genau, was sich mir denn jetzt noch leisten konnte und was besser nicht. Besonders beim Mittagessen kam es dann immer häufiger zum Streit, da ich viele Nahrungsmittel ablehnte und nur das Gemüse aß.
Meine Eltern setzten mich schon bei einem Gewicht von 50 kg unter Druck, wieder mehr zu essen und drohten mit der Psychiatrie. Das alles ging aber an mir vorbei, weil ich unbedingt mein Zielgewicht erreichen wollte und gleichzeitig hatte ich eine ungeheure Wut auf meine Eltern, da ich meinte, sie wollen mir durch ihre ganzen Vorschriften, die verhindern sollten, dass ich weiter abnahm, nur schaden. Schließlich lief es dann wirklich auf die Magersucht hinaus. Ich beschäftigte mich dann nur noch mit Essen, kannte später alle Kalorienwerte auswendig und während ich mir Diäten aus Zeitungen ausschnitt oder aus der Bücherei besorgte, lief meine Mutter dorthin, um sich Bücher über Essstörungen auszuleihen und mir diese vorzulegen. Innerlich konnte ich aber nur darüber lachen, da ich mein Abnehmen noch nicht als Krankheit einschätzte. Mit der Zeit entwickelte ich auch einen Konkurrenzkampf mit allen anderen. Ich war stolz, dünner zu sein als sie, war aber auch neidisch und wütend auf meinen Vater, der zu dem gleichen Zeitpunkt eine Diät durchführte, aber von niemandem daran gehindert wurde. Zu diesen Problemen kamen noch viele Schwierigkeiten mit meinen Freundinnen hinzu, da diese mich nicht verstehen konnten, wenn ich nicht mehr jede Woche mit ihnen Eis essen gehen wollte. Eis schmeckt doch so lecker, wo ist da das Problem? Ständig kam ich mir dämlich vor, immer neue Ausreden vorzubringen oder immer Nein sagen zu müssen.
Ich war regelrecht verzweifelt und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte dieses Gift auf keinen Fall Essen, aber ich wollte meine Freunde auch auf keinen Fall verlieren, also aß ich manchmal mit und hungerte die darauffolgenden Tage umso stärker, oder am besten schon die vorausgehenden. Wenn ich mit meinen Eltern darüber redete, stellten sie meine Probleme als lächerlich dar. Ich grenzte mich deshalb immer mehr aus und die Nachmittage des letzten Jahres verbrachte ich fast ausschließlich in meinem Zimmer. Es sei denn, ich machte Sport. Die Methoden meiner Eltern, mich zum Essen zu bewegen, veränderten sich auch mit der Zeit. Mal versuchten sie es mit Druck und Drohungen, was ich als das Schlimmste empfand, mal mit Flehen und Bitten und am Ende ließen sie mich auf Anraten meines Therapeuten (ambulante Therapie), zu dem ich seit einem halben Jahr gehe, fast in Ruhe.
Ich ging dann meistens 1 x die Woche einkaufen, stand jedes Mal vor dem gleichen Regal und verglich für mindestens eine halbe Stunde jedes Mal die Kalorienwerte aufs Neue, nur um das kalorienärmste Produkt ausfindig zu machen. Mittags kochte ich dann für mich selber und abends ließ ich die Mahlzeit fast immer ausfallen. Zu Beginn kämpfte ich noch mit dem Hunger, aber mit der Zeit verging der dann und ich hatte den ganzen Tag über kein Hungergefühl mehr.
Zu der Zeit hatte ich mein Zielgewicht schon längst unterschritten und ich bildete mir ein, mich mit jedem Kilo weniger besser zu fühlen. Und eines Tages begann ich dann auch tatsächlich, einen Schokoriegel zu essen. Dies wurde dann zur Gewohnheit. Doch leider blieb es nicht bei dem einen, sondern ich bekam richtige Fressattacken. Zu Beginn glich ich das durch extremes Hungern aus, doch letztendlich war mir das zu mühselig und ich erbrach. Das war immer besonders schlimm, weil ich mich erstens dabei ständig verstecken musste, was mir nicht immer gelang und meine Eltern rasteten dann aus und zweitens fühlte ich mich danach immer total wertlos, überflüssig, verschwenderisch, schuldig und ich schaffte nur unnötige Probleme, die ohne mich nicht da waren. Es ging immer mehr bergab mit mir, die ambulante Therapie brachte rein gar nichts und die Fressanfälle nahmen immer mehr zu.
Letztendlich stimmte ich nach viel zu langer Zeit, in der ich mir die ganze Zeit meine Krankheit nicht eingestehen wollte, dem Aufenthalt in dieser Klinik zu. Und ich muss sagen, es war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Ich bin sehr glücklich darüber und meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mir immer versucht haben zu helfen, obwohl dies nicht immer auf dem richtigen Weg geschah.