11.08.2023 | Johanniter-Krankenhaus Treuenbrietzen

Warnung vor ADHS-Selbstdiagnosen bei TikTok

Auf der Video-Plattform kursieren Anleitungen, wie man angeblich die Anzeichen einer Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung erkennt. Chefarzt Dr. Eike Ahlers das für bedenklich.

ADHS ist die gängige Abkürzung für Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung. Laut Robert Koch-Institut (RKI) sind bundesweit etwa vier Millionen Menschen davon betroffen. Sie tritt meistens im Kindesalter auf.

Studie: Rund die Hälfte der TikTok-Videos enthält Fehlinformationen

Der Wahrheitsgehalt der TikTok-Videos ist fraglich. Eine kanadische Studie hat herausgefunden, dass rund die Hälfte der Videos zu ADHS Fehlinformationen enthalte. So würden Symptome genannt, die der Erkrankung nicht zuzurechnen seien. Die „ADHS-Paralyse“ etwa, also das Gefühl, unfähig zu sein, etwas zu tun und sich wie gelähmt zu fühlen, sei kein ADHS-Symptom, heißt es in der wissenschaftlichen Analyse.

Ein weiteres Problem sind die Social Media-Algorithmen, die den Nutzern immer weitere Inhalte zum Thema anbieten.

Warnung vor Verharmlosung der Beschwerden

Eike Christoph Ahlers, Chefarzt der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Johanniter-Krankenhauses Treuenbrietzen, beschäftigt sich seit Jahren mit ADHS im Erwachsenenalter: "Ich bewerte das deutlich gestiegene Bewusstsein für psychische Beeinträchtigungen generell erst mal als positiv. Die Hoffnung besteht, dass es weniger stigmatisiert wird, über eine ADHS als mögliche Ursache der Beschwerden nachzudenken. Zudem wird vermittelt, dass verschiedene gut untersuchte Behandlungsmaßnahmen wirklich bei solchen Beschwerden helfen können. Dazu zählen Psychotherapie, Medikamente, aber auch Bewegung, Sport und Achtsamkeit sowie Meditations- und Entspannungsverfahren. Auf der anderen Seite finde ich propagierte Selbstdiagnosen oder ein unreflektierter Gebrauch von psychologisch-medizinischen Diagnosen und Begriffen, um selbst Aufmerksamkeit zu generieren, eher problematisch. Die Gefahr besteht, dass Unsicherheit verstärkt und tatsächlich Betroffene in ihren Beschwerden marginalisiert werden"

ADHS wird meist erst im Erwachsenenalter erkannt – und ist gut behandelbar

Dr. Ahlers: "Das Hauptsymptom, das meistens zu einem ADHS-Test führt, ist initial die Hyperaktivität. Bei vielen Betroffenen zeigt sich ADHS durchaus auch bereits im Kindesalter jedoch eher über Konzentrationsprobleme. Diese führen generell viel seltener zu einer Abklärung. Das ist der Grund, wieso die Störung oft jahrelang unentdeckt bleibt. Beim Übergang in das Erwachsenenalter müssen dann große Herausforderungen gemeistert werden –Selbstorganisation im Haushalt, Ausbildung und Beruf, Beziehung und Familienplanung – hier werden dann die Hauptbeschwerden und die Überforderung erst deutlich. Erwachsene, die als Kinder und Jugendliche mit einer unerkannten ADHS vielleicht gar nicht maßgeblich auffällig waren, begeben sich dann im Erwachsenenalter in psychologische oder fachärztliche Hilfe, da die Beschwerden alltagsrelevant werden und sich der Leidensdruck für Betroffene erhöht. Daher werden viele Diagnosen erst spät gestellt."

Unerkannte ADHS kann zu Folgeerkrankungen führen

Dr. Ahlers: "Es ist tatsächlich so, dass Betroffene sich sogar meist wegen einer Folgeerkrankung wie einer Erschöpfungsdepression oder Angstzuständen in Behandlung begeben. Bei der Untersuchung wird dann oft auch eine vorher unerkannte ADHS als auslösend festgestellt. Insofern gehe ich davon aus, dass eine sorgfältige rechtzeitige Diagnosestellung dabei hilft, Folgeerkrankungen zu verhindern. Außerdem kann die Behandlung der ADHS dann auch vorbeugend wirken. Bei deutlicher Symptomatik können Medikamente eingesetzt werden, doch das ist nicht der einzige Weg. Auch Verhaltenstherapien können sehr hilfreich sein."

 

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