Wie stellt sich die Pflege in der Psychiatrie dar?
Die Klinik für Psychiatrie besteht aus einer Station für Abhängigkeitserkrankte, einer gerontopsychiatrischen Station, einer Wahlleistungsstation, zwei Tageskliniken und zwei Akut-Stationen. Es gilt das Prinzip der offenen Türen.
Auf den Akut-Stationen werden vor allem Patientinnen und Patienten mit allgemeinpsychiatrischen Krankheitsbildern wie Depression, Manie, Angststörung, Schizophrenie bis hin zu Borderline-Persönlichkeitsstörungen behandelt. Je nach Erkrankungsbild und psychischem Befinden benötigen die Patientinnen und Patienten kurzfristige Pflege bis hin zu längerer Begleitung unter 1:1 Betreuung.
Unser Ziel ist es, psychisch kranken Menschen so zu begegnen, dass sie ihre gesundheitsbezogenen Defizite und Einschränkungen überwinden oder akzeptieren können. Die Patientinnen und Patienten sollen nach Möglichkeit ihre persönliche Autonomie wieder erlangen oder erstmals erreichen.
Die Krankheitsbilder sind sehr unterschiedlich. Wie gehen Pflegende damit um?
Psychiatrische Pflege verlangt ein hohes Maß an Flexibilität, Fachwissen und Organisation. Sie zeigt viele Facetten: Manchmal ist sie schwer verständlich, emotional, kräftezehrend - gleichzeitig jedoch spannend und herausfordernd.
Alle Patientinnen und Patienten erhalten eine pflegerische Bezugsperson, die während der Behandlung in der Klinik im Rahmen einer unterstützenden Beziehung für eine zielgerichtete, der individuellen Situation angepasste, multiprofessionell abgesprochene Versorgung des Patienten oder der Patientin verantwortlich ist. Grundlage des Pflegeprozesses ist ebenfalls die Einbeziehung des sozialen Umfeldes, z.B. der Angehörigen. In dieser Zeit nehmen wir als Pflegende unterschiedliche Rollen ein, wie die des Begleiters, des Unterstützenden/Informierenden, des Fremden, des Beraters, des Lehrenden, die Rolle der Führungsperson und der Ersatzperson.
Welche theoretischen Konzepte kommen zur Anwendung?
Wir arbeiten nach dem Pflegemodell von Hildegard Peplau und bauen eine pflegerisch-therapeutische Beziehung zum Patienten oder zur Patientin auf. Dieses erfolgt durch verbale und nonverbale Kommunikation unter Berücksichtigung des jeweiligen Krankheits- bzw. Gesundheitsgrades.
Es geht auch um eine adäquate Regulation von Nähe und Distanz. Da das Nähe- und Distanz - Verhalten bei Patientinnen und Patienten mit einer psychischen Erkrankung verändert ist, kann es zwischen starkem Rückzug bis hin zu Distanzminderung und Übergriffigkeit variieren.
Wie gestaltet sich der Beziehungsaufbau?
Nicht anders als in jeder anderen sozialen Beziehung: Indem wir Interesse, Verständnis und Empathie gegenüber dem Patienten oder der Patientin zeigen. Eine pflegerische Beziehung kann nicht von jetzt auf gleich aufgebaut werden. Es sind viele Kontakte während der gesamten Behandlung notwendig. Alle Tätigkeiten, die wir mit dem Patienten oder der Patientin gemeinsam durchführen, sind zum Beziehungsaufbau und -erhalt förderlich. Dazu gehört auch das Führen von Alltagsgesprächen, gemeinsames Kaffeetrinken oder ein gemeinsamer Spaziergang. Zudem ermöglichen diese Tätigkeiten eine bessere Krankenbeobachtung, als dies z.B. aus dem Dienstzimmer "durch die Scheibe" möglich ist.
Wie sieht die pflegerische Tätigkeit in der Praxis aus?
Eine vertrauensvolle Beziehungsgestaltung erfordert ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, Toleranz, wertfreier Akzeptanz und oftmals viel Geduld. Es gibt die Patienten, die verzweifelt und ängstlich ihre Zwangsgedanken wie „Ich glaube, ich schaffe es nicht“, „Ich bin gesund, jetzt bin ICH es wieder“ oder „Ich muss meine Sätze aufschreiben“ dem Pflegenden erzählen. Die Aufgabe ist enorm vielfältig: Wir Pflegenden haben die Kompetenz, gleichzeitig suizidgefährdete Patientinnen und Patienten, akute Patientinnen und Patienten mit "Hinlauftendenzen", die mit richterlichem Beschluss untergebracht sind, und Patientinnen und Patienten mit Impulskontrollstörungen professionell zu begleiten.
Welche Möglichkeiten haben die Pflegenden, Übergriffen vorzubeugen?
Kritische Situationen in der Pflege sind nicht immer vermeidbar. Schon aus ihrer Rolle heraus sind die Pflegenden die Personen, die die "Stationsregeln" vertreten, Abläufe sicherstellen und zwangsläufig in Konfrontationssituationen mit den Patientinnen und Patienten geraten können. Mit intensiver Begleitung von Patientinnen und Patienten auf den einzelnen Behandlungseinheiten wollen die Pflegenden die Patientinnen und Patienten in ihrer Genesung unterstützen und sie vor sich selbst und/oder Patientinnen und Patienten und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor Übergriffen schützen. Die sogenannte 1:1 Betreuung, auch als "Erhöhter Betreuungsaufwand" bezeichnet, stellt eine Herausforderung dar. Hier reicht das Spektrum von schweigenden, in sich gekehrten, möglicherweise sich selbst gefährdenden Patientinnen und Patienten über hochmanische, redefreudige Menschen, die ohne Punkt und Komma ununterbrochen von Thema zu Thema springen, bis hin zu angespannten, drohenden Patientinnen und Patienten.
Welche Hilfen bietet die Johanniter-Kliniken Hamm?
Zum professionellen Umgang mit Aggressionen werden die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen regelmäßig geschult, um Veränderungen im Verhalten sowie in der Stimmungslage frühzeitig zu erkennen und durch engmaschige Betreuungs- und Gesprächsangebote sowie durch Schutzmaßnahmen professionell intervenieren zu können. Fixierte Patientinnen und Patienten müssen schon vom Gesetz her im gleichen Raum 1:1 betreut werden - hier sind wir ebenfalls oft verbalen Anfeindungen, Drohungen und der Angst oder dem Frust der fixierten Patientinnen und Patienten ausgesetzt.
Wir führen 2 x jährlich ein mehrtägiges Deeskalationstraining und ein Schutztechniktraining für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen durch, an dem sich auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus externen Einrichtungen anmelden können. Zusätzlich gibt es an mehreren Terminen im Jahr Updates mit praktischen Übungen. Für die multiprofessionellen Teams gibt es Supervisions- bzw. Coaching-Angebote.
Was können die Pflegenden selbst tun?
In der Bewältigung kritischer Patienteninteraktion ist es wichtig, die eigenen Grenzen zu beachten und zu erkennen. Eine Nachbesprechung zur eigenen Psychohygiene und kritische Hinterfragung des eigenen professionellen Handelns in Krisen und Ausnahmesituationen, sowie bei Zwang, Gewalt und Suizid findet zeitnah in den Behandlungsteams statt. Um damit umzugehen, bedarf es eines Austausches im multiprofessionellen Team und Unterstützung durch die Vorgesetzten – das gehört zum Arbeitsalltag.
Anna Margaretha Krull | Döndü Köroglu | Petra Steinweg