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30.12.2020 | Johanniter-Krankenhaus Bonn

Worte zum neuen Jahr

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. (Lukas, 6,36) Ein Text von Pastor Bernd Kollmetz, Klinikseelsorger der Johanniter

John Lennon formulierte in einem Song: „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“

An diese Wahrheit haben wir uns in den letzten Monaten erst einmal wieder gewöhnen müssen. All das, was bisher zu den Selbstverständlichkeiten des Lebens gehörte, ist durch ein kleines Virus ausgehebelt worden. Grenzziehungen in einem unvorstellbaren Ausmaß zeigen uns, dass das Leben seine eigene Dynamik kennt. Wir befinden uns erneut in einem radikalen Lockdown: Geschäfte geschlossen, Urlaub innerhalb Deutschlands unmöglich, strikte Reduzierung der Kontakte. Oder wie es in der Sprache der Politik heißt: Das Leben muss heruntergefahren werden. Ich gebe zu, dass gerade dieser Gedanke mich sehr irritiert. Was steht am Ende dieser Bewegung? Sei`s drum. Die ganze Situation scheint unbarmherzig.

Für uns Johanniter ist aber die Erfahrung der Grenzziehung nicht fremd. Krankheit und Hilfsbedürftigkeit begegnen uns jeden Tag, wenn wir Dienst tun an den „Herren Kranken“, wie es etwas altmodisch im Ordensauftrag heißt. Und zu diesen altmodischen Begriffen gehört auch das Wort „Barmherzigkeit“. Welche Bedeutung hat es, wenn wir es verwenden, hat es überhaupt noch seinen festen Platz in unserem Alltagsleben und in der Alltagssprache?

Im Alten Testament besteht eine enge Verbindung zwischen „erbarmen“ und „Mutterschoß“. Für uns ein fremder Zusammenhang.

Erbarmen steht für neues Leben.

Was für eine wunderbare Vorstellung. Und Barmherzigkeit gehört genauso wie Glaube, Treue, Liebe, Gewissen zu den „Herzensbegriffen“, die ein gemeinsames Leben im Angesicht der Unverfügbarkeit des Augenblickes erst möglich machen, um nicht nur einfach am Leben zu bleiben, sondern im Leben. Diese Herzensbegriffe finden in der Barmherzigkeit ihr Ziel.

So will Barmherzigkeit mein Herz öffnen für den Menschen, der mir gegenübertritt, sei es als Patientin und Bewohner, sei es als Mitarbeitender.

Das Wort „Barmherzigkeit“ weist aber weit über den Horizont eines sozial-ethischen Verhalten hinaus. Die Jahreslosung erinnert uns daran, dass wir selbst eingebettet sind in einer Barmherzigkeit, die uns tief verbunden sein lässt mit dem Leben: Gottes Barmherzigkeit: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Diese Barmherzigkeit ist der Resonanzboden, der unseren Glauben, unser Vertrauen in Schwingung versetzt und immer wieder dann versetzen will, wenn wir müde werden angesichts des Lebens; wenn es uns auf andere Bahnen setzt. Jesus hat in den Begegnungen mit den angefochtenen Menschen dazu ermutigt, dem barmherzigen Gott zu vertrauen, auch wenn alles dagegenspricht, wenn das Leben sich nicht einfach in unsere Plänen einfügen will, sich nicht einfügen lässt.

Und mit dieser tiefen Gewissheit können wir uns, liebe Johanniter, in Barmherzigkeit begegnen. Wir alle leben von dieser Bereitschaft, von dieser Haltung! Gerade in einem Alltag, der viel von uns abverlangt, wird die einander „zugelebte“ Barmherzigkeit zum Resonanzboden für unseren Lebensalltag. Dann bleiben wir offen für das Leben bei all unseren notwendigen Planungen. Und gerade in den unscheinbarsten Augenblicken spendet dieser „Herzensbegriff“ neue Zuversicht, Hoffnung und Leben. Und so können wir uns barmherzig mit unser Zuversicht und Hoffnung auf den Weg machen durch das Jahr 2021 mit all seinen Herausforderungen, Hoffnungen, aber auch mit seinen Mühen.

Eine kleine Geschichte, die aus dem Orient stammt, soll meine Gedankenreise beenden: Ein frommer Mann stirbt und tritt vor Gott, der ihn fragt: „Weißt du, warum ich dir gegenüber barmherzig bin?“ Der Fromme antwortet: „Wegen meiner guten Werke und weil ich in meiner Anbetung zu dir aufrichtig war?“ Gott antwortet: „Nein. Nicht deswegen. Erinnerst du dich, wie du durch die Gassen deiner Heimatstadt gingst und ein Kätzchen fandest, das vor Kälte ganz schwach geworden war und von Mauer zu Mauer lief, um Schutz zu finden. Da hast du es aus Mitleid aufgehoben und in den Pelz gesteckt, den du trugst, und hast es so vor der Kälte geschützt. Weil du mit dieser Katze Erbarmen hattest, darum habe ich mich deiner erbarmt.“

Wenn wir einander barmherzig im Blick behalten, dann geben wir dem Leben jenseits all unserer Planungen eine Chance.