Engagierter Austausch statt Wiener Schmäh
Im Oktober 2022 startete ein kleines Team der Johanniter-Akademie Niedersachsen/Bremen im Rahmen des Bildungsprogramms Erasmus+ nach Wien, um sich einen ersten Eindruck vom dortigen Johanniter-Rettungsdienst zu verschaffen.
Die vier Wiener Kollegen der Johanniter-Unfall-Hilfe Wien nutzten den erneuten Austausch im Rahmen der Erasmus+-Projekte, um zwischen dem 9. und 13. Oktober 2023 die Akademie und ihre Angebote, aber auch die Aufstellung und Durchführung des Rettungsdienstes in Niedersachsen kennenzulernen. Neben Begrüßung und „Schlossführung“ durch Akademie-Leiter Kersten Enke erlebten der Leiter des Wiener Research & Innovation Center, Georg Aumayr, die Einsatzoffiziere der Hauptinspektion, Martin Müller und Michael Wawra, sowie Notfallsanitäter Dominik Ofner ein üppiges Programm. Darunter fielen unter anderem Einsätze auf dem Rettungswagen, der Test am Fahrsimulator oder Übungs-Szenarien im Christoph life-Hubschrauber-Simulator und des VR (Virtual Reality)-Medienlabors.
Getroffen haben sich die Teams bereits 2018 im Rahmen eines anderen internationalen Austauschs, mittlerweile haben zwei der Wiener Kollegen 2021 an der Akademie im sogenannten „OrgL-Kurs“ eine Fortbildung zum organisatorischen Leiter Rettungsdienst absolviert. Moritz Rüter, hauptberuflicher Notfallsanitäter und ehrenamtlicher Mitarbeiter für EU-Projekte an der Johanniter- Akademie, konnte nach einem ersten Wien-Besuch im Oktober 2022 bereits im Mai 2023 für zwei Wochen die Kollegen bei ihren aktiven Einsätzen begleiten und beobachten: „Für das Verständnis, wie Rettungsdienste in anderen Ländern funktionieren und auch, um daraus zu lernen, sind diese Austausche eine tolle Gelegenheit. In Wien habe ich zudem die formelle Anerkennung als österreichischer Notfallsanitäter erhalten.“
Darüber hinaus sind für beide Seiten mögliche Forschungsprojekte von großem Interesse. Einsatzoffizier Martin Müller, der den Austausch maßgeblich organisiert, erklärt: „Die Wiener Johanniter sind in der Forschung sehr umtriebig. Das Programm Erasmus+ bietet viel Gelegenheit, zusammen Ideen auszuloten und zu entwickeln. Und wir sehen auch, dass die internationale Zusammenarbeit bei Naturkatastrophen oder anderen Großschadens-Ereignissen immer wichtiger wird.“
Entsprechend inspirierend empfanden die Wiener hier die Möglichkeiten der virtuellen Welten und der Notfallmedizin in Gefährdungslagen, die sich auf die Arbeit der Rettungsdienste in Kooperation mit Sicherheitskräften wie Bundeswehr oder Polizei konzentriert. „Die Virtual Reality-Technologie wird in unserem Research & Innovation Center in Wien auch intensiv beforscht und entwickelt, gerade für Großschadens-Lagen,“ erläutert Georg Aumayr, Leiter der Forschung, „aber im Sinne der Notfallmedizin in Gefährdungslagen arbeiten wir bisher noch nicht so eng mit unseren Sicherheitskräften zusammen wie es hier in Hannover der Fall ist.“
Auch andere gemeinsame Herausforderungen wie der Fachkräftemangel kamen auf den Tisch. Nach wie vor spielen neben dem hauptamtlichen Berufsbild des Notfallsanitäters in Niedersachsen die Freiwilligen aus dem Sozialen Jahr und dem Bundesfreiwilligendienst eine große Rolle, wenn es um die Gewinnung von ehrenamtlichen Rettungssanitätern geht. Ähnliches erlebt man in Wien: „Wir haben noch den verpflichtenden Zivildienst“, erläutert Martin Müller, „und das ist auch eine wesentliche Grundlage für den Rettungsdienst. Darüber hinaus ist auch die Ausbildung zum Notfallsanitäter bei uns viel stärker auf das Ehrenamt ausgerichtet. Die Ausbildung erfolgt daher häufig nicht in Vollzeit wie hier, sondern berufsbegleitend.“
Für 2024 haben die Wiener nun schon erste Ideen, ihre niedersächsischen Kollegen in der Praxis einzubinden, wie Martin Müller verrät: „Wir planen unter anderem die Übung eines Großschadens-Ereignisses.“ Da sieht auch Akademie-Leiter Kersten Enke spontan eine Kooperationsmöglichkeit: „Wir haben hier einen bestens ausgestatteten Gerätewagen-Sanität (GWSan), den könnte man dort einsetzen.“
Darüber hinaus pflegt die Johanniter-Akademie weiterhin ihren bestehenden Austausch mit Thessaloniki/ Griechenland und hat großes Interesse an einer Erweiterung mit Athen. Ein erstes Team der Akademie wird 2024 zudem Izmir/Türkei besuchen, nur ein Projekt wird nun jedoch verschoben werden müssen: „Wir würden sehr gern einen Austausch mit Israel planen, aber das ist unter den derzeitigen tragischen Umständen nicht möglich“, bedauert Kersten Enke.
Hintergrund: Das Erasmus+-Programm der EU unterstützt die Förderung der europaweiten Zusammenarbeit in allen Bildungsbereichen wie Hochschulen, Schulen, beruflicher Bildung, Jugend und Sport