03.05.2024 | Johanniter GmbH

Internationaler Hebammentag: „Ein positives Geburtserlebnis darf keine Glückssache sein.“

Nachgefragt bei Miriam Jens

Hebammen leiten Geburten selbstständig und betreuen dadurch werdende Mütter und deren Begleitung in einem der wohl prägendsten Momente ihres Lebens. Was aber braucht es, um „gute Geburtshilfe“ leisten zu können? Welche positiven Entwicklungen gibt es und mit welchen Herausforderungen sieht sich die Geburtshilfe insbesondere mit Blick auf die geplante Krankenhausreform konfrontiert? Anlässlich des Internationalen Hebammentags am 5. Mai haben wir nachgefragt bei Miriam Jens, leitende Hebamme B. Sc. und pflegerische Bereichsleitung der Frauenklinik am Johanniter-Krankenhaus Geesthacht.

Sie sind bereits seit vielen Jahren als Hebamme tätig. Was hat sich in der Geburtshilfe verändert?

Jens Positive Entwicklungen sehe ich vor allem mit Blick auf die Betreuung von Paaren und werdenden Müttern, was deren Auseinandersetzung mit dem Geburtserleben betrifft. Die Floskel: „Hauptsache: gesund“ reicht heute nicht mehr aus. Vielmehr geht es darum, dass Frauen bewusst für sich selbst und ihre Bedürfnisse rund um Schwangerschaft, Geburt und die Zeit im Wochenbett einstehen und somit auch besondere Anforderungen an das Gesundheitssystem und die Geburtshilfe stellen. Hinzukommt, dass der Hebammenberuf seit 2020 an ein duales Studium gebunden ist. Diese Akademisierung hat zu einer weiteren Professionalisierung geführt, sodass nun z. B. auch Leitlinien aus Sicht der Hebammen mitgestaltet werden, was es uns ermöglicht, in den wissenschaftlichen Diskus gehen zu können.

Was bedeutet das konkret für Sie als Hebamme bzw. die Geburtshilfe?

Jens In der Betreuung ist es mir besonders wichtig, dass Frauen bzw. Paare unabhängig davon, welchen Weg sie in Sachen Geburt gehen möchten, zu jeder Zeit eine informierte Entscheidung treffen können. Gemeinsam besprechen wir dabei alle möglichen Optionen sowie Vor- und Nachteile, damit sich jede Frau – selbst unter der Geburt – für ihren persönlichen Weg entscheiden kann. Um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, braucht es von unserer Seite aus eine hohe Struktur- und Prozessqualität. Bei uns im Johanniter-Krankenhaus Geesthacht zeigt sich das z. B. in unserer Zertifizierung als „babyfreundliche Geburtsklinik“.

Was genau hat es mit der Zertifizierung als „babyfreundliche Geburtsklinik auf sich?

Jens „Babyfreundlich“ bedeutet für uns in erster Linie, dass wir uns gemeinsam als Team für eine besondere Betreuung junger Mütter und deren Babys einsetzen. Zwar fördern wir mit unseren Maßnahmen vor allem die spontane Geburt, aber auch dann, wenn es zu einem geplanten oder auch ungeplanten Kaiserschnitt kommt, haben Mutter und Baby bei uns ebenso so gute Voraussetzungen, über direkten, ungestörten Hautkontakt unmittelbar nach der Geburt, sogenanntes Bonding, eine innige Bindung aufzubauen.

Die Kaiserschnittrate bei Ihnen in Geesthacht liegt rund zehn Prozent unter dem bundesweiten Durchschnitt. Was machen sie anders als andere Geburtskliniken?

Jens Gerade dann, wenn werdende Mütter im Vorfeld bereits einen Kaiserschnitt hatten, nun aber der Wunsch einer spontanen Geburt besteht, überlegen wir gemeinsam mit der Frau, wie wir das erreichen können. Denn: Wir möchten Bedingungen schaffen, die für die Frau die beste Geburt mit ihren individuellen Voraussetzungen ermöglicht. Dafür gehen wir als Team auch innovative Schritte, wie etwa mit der Etablierung des „Geesthachter Geburtszirkels“, der vor allem dabei hilft, die natürliche Geburt zu fördern sowie Interventionen und den Bedarf an Schmerzmitteln zu reduzieren. Ziel ist es, in acht aufeinanderfolgenden anleitenden Schritten die optimale Positionierung des Kindes im Becken der Mutter zu fördern. Gerade in der Latenzzeit – also dem Zeitraum, in dem über Stunden oder gar Tage bereits schmerzhafte Wehen auftreten können, die aktive Eröffnungsphase der Geburt aber noch nicht beginnt – haben wir sehr positive Erfahrungen mit unserem Geburtszirkel gemacht.

Wie beurteilen Sie die zukünftigen Entwicklungen für die Geburtshilfe?

Jens Positiv sehe ich, dass die Politik inzwischen erkannt hat, welches Potenzial hebammengeleitete Kreissäle haben. So ist z. B. im derzeitigen Koalitionsvertrag die Förderung einer Eins-zu-eins-Betreuung werdender Mütter durch eine Hebamme festgelegt. Hinzu kommt das 2016 ausgearbeitete nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“, das konkrete Ziele für einen gesunden Start in das Leben definiert.

Kritisch sehe ich dabei, dass die an uns gesetzten Ziele und Vorgaben sehr hochgesteckt werden, jedoch im starken Widerspruch zu den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen und vor allem auch zur Vergütung in der Geburtshilfe stehen: Es gibt immer noch zu viele monetäre Fehlanreize, wie etwa, dass ein Kaiserschnitt aus finanzieller Sicht deutlich attraktiver ist als eine spontane Geburt, obwohl die gleichen Vorhaltekosten bestehen. Geburtshilfe ist eben nicht planbar: Während an einem Tag keine Geburt stattfindet, sind es am nächsten gleich fünf auf einmal. Zu hinterfragen ist auch die durch die Krankenhausreform angestrebte Zentrenbildung, die sich darauf gründet, dass Mindestmengen für höhere Qualität sorgen sollen. In der Geburtshilfe ist das nachweislich nicht so. Eine Geburtsklinik mit jährlich 3.000 Geburten bietet nicht automatisch eine bessere Geburtshilfe als eine kleinere Klinik, wie z. B. wir in Geesthacht mit 750 Geburten, die aber mit einem guten Konzept überzeugt. Gesellschaftlich müssen wir uns daher alle die Frage stellen: „Was ist uns gute Geburtshilfe wert?“